Notizen aus der Versenkung/ Kreuzberg (7, EM Special)
Fußball gucken. Mach ich gerne. Fußballgucken mit Familie, ein neues Kapitel in unserer Familiengeschichte, eröffnet jedoch ein völlig neues Spannungsfeld. Als Pole dieses Feldes wären da: der Mann, der Fußball sehr liebt, und der in einem Alter, da seine Peergroup ungestraft „Embrio“ zu sagen durfte, mal Profi werden wollte. Der dementsprechend gerne „ernsthaft“ Fußball guckt, nicht als soziales Event, sondern als nun ja, Sportereignis.
Dann ist da der Sohn: fünfeinhalb Jahre alt. Hat seine eh schon verblüffend tief gehende Liebe zu Dinosauriern dieses Jahr eins zu eins eingetauscht gegen die Liebe zum Ballsport, und sich ganz genau so tief reingefreakt in die Thematik. Und genau so, wie er zuvor jeden Triceratoopteristyracoquetzalopterix vom Anderen unterscheiden konnte, so weiß er jetzt jeden Spieler ALLER Mannschaften mit Stärken und Schwächen einzuordnen. Und so, wie er zuvor seine (sich auf Knien redlich um glaubwürdiges Saurierspiel bemühende) Mutter gerügt hat: „Mamaaa, der macht nicht Rrrrrrawrrr, der ist ein Pflan –zen –fress-sser!,“ so erwartet er jetzt absolute Hingabe an die neue Materie. Und fragt: zieeeemlich viel, ziemlich oft, und in ZIEMLICHER LAUTSTÄRKE!!!
Und ich, na ja, wie ich sagte: Fußball gucken? Mach ich gerne. Wer in der Spanischen Liga die meisten Kopfballduelle gewonnen hat? Kann ich nicht so genau sagen. Aber hey, sie machen alle miteinander „Rrrrraaawwwr!,“ so viel ist schon mal sicher.
Und dann ist da noch das Töchterlein, dass den Begriff „soziales Event“ höchst wahrscheinlich mit erfunden hat und das die ganze Zeit zu meinen Füßen sitzt, irgendetwas halbwegs wertvolles anmalt oder mit Nahrung einschmiert und dazu singt: „ DER! ELEFANT! SITZT! AUF! DEM! BAUM! UND SINGT EIN LIED! HAHAHAHAHA!!!!“ Ab und zu steht sie auf, zieht mein Gesicht an den Haaren zu sich herüber und brüllt in einer Entfernung, bei der die Augen zu einem einzigen Meta -Auge in der Mitte zusammenrücken: „EY! ICH SINGE EIN EEFANTENLIED!!!
Und dann bin da ich, die ich eben ziemlich gerne Fußball gucke. Wenn ich mich mal darauf einlasse. Wenn ein Spiel nicht wahnsinnig packend ist, dann kann ich auch mal den Fokus verlieren. Dann werde ich abgelenkt durch Überlegungen wie: Sieht Pirlo aus wie Roberto Benigni? Was meint der Kommentator mit „Pirlos melancholischem Gesichtsausdruck?“ Denkt Pirlo „Ach, der Ball, er erinnert mich an die Vergänglichkeit… Tor, kein Tor, was bedeutet das am Ende? Ist das Leben schön? Sind wir nicht alle nur ein kleiner Flecken im…“ Oder aber: heißt Buffon eigentlich wirklich „Clown“? Und: guck mal, die Katrin Müller –Hohenstein sieht aus wie ein Alien. Nee, warte mal, stimmt gar nicht, es gibt nur irgendjemanden, nee, warte, etwas, das in irgend so einer Serie genau so… Star Trek? Neeee. „ACH!“, schreie ich dann, reiße den Mann an den Haaren zu mir hinüber und beglücke ihn Meta –Auge an Meta –Auge mit meiner Erkenntnis: „DAS! FÜNFTE! ELEMENT!!! DAS WAR`S! DIESE VIECHER DA; VON DEM DINGS; DEM MIT DER HITLERFRISUR; DIE SEHEN SO AUS!!!! UND GUCK MAL; JETZT HAT SIE NOCH SO EIN SILBERNES DINGS AN; HAHAHAHAHA; GUCK MAL!!!“
Der Mann versucht daraufhin, sich daran zu erinnern, dass er meine Begeisterungsfähigkeit an anderer Stelle zu schätzen weiß, und bleibt ruhig. Ich nehme dennoch seine Vibrationen auf und verkneife mir folgende Überlegungen, beziehungsweise behalte sie für mich:
Komisch, wie man bei all diesen Nationalhymnen auch ohne Textverständnis genau weiß, worum es geht, und dass das Sentiment überall gleich ist… Abgesehen davon, dass es ein paar Länder gibt, deren Nationalhymnen mir noch martialischer und anachronistischer vorkommen als unsere eigene… “Zu den Schwehertern, Bluuut und Bohoden…“ Nur eine einzige Nationalhymne habe ich in meinem Leben gehört, die irgendwie was anderes zu transportieren schien. Das war die von Dominica, einer kleinen karibischen Insel ohne Flughafen. Die Dominicaneser singen in bestem Disney –Sentiment zu hübscher Melodie so was wie „Wasserfähälle, geile Bäuhäume …“
Oliver Kahn sagt über irgendjemanden, der sei „eine Bank.“ Wie lange man das wohl noch in der Bedeutung benutzen wird? Also positiv besetzt, als Synonym für, ähm, Verlässlichkeit und Stabilität? Demnächst so „Ey, der Poldi, der ist echt ein Haufen Geld unter der Matratze…“ Oder aber: „Der Schweinsteiger, mit dem ist diese Saison echt nix anzufangen, wegen all der Verletzungen ist der echt `ne Bank…“
Und: was ist eigentlich los mit dem ZDF? Ist das kaputt? Wie langsam und verschnarcht und dilettantisch kann man über so ein doch eher flottes Spiel eigentlich berichten? Mich persönlich bringen die ständigen Wechsel der Adrenalinlevel völlig aus dem Tritt… Im Spiel immer: Zack, Bumm, Höddelhöddelhöddel, Dings auf Bums, Zack auf Tsock,…“ Und dann wieder, begleitet von einem Geräusch wie von einem notbremsenden TGV: Und jetzt wieder zum … Zeeeeeeettt… Deeeeeee…… Eeeeöööööööffff….ffff…fff….“
Werbepause. Eine flotte geairbrushte Modelstudentin namens „Vanessa, Sopranistin“ sucht per Partnervermittlung einen 42jährigen, dicklichen Familienvater.
Und wieder zurück. Der quotenschwule Außenkorrespondent hat sich den Trapattoni geschnappt und fragt ihn: „Did se gehm go as you epeditted? Expedited? Spitted it? Spited it?“… Schweigen. Neuer Versuch. „Zis was se last game of Eiland, oder? Will you steh wis Eiland?“
Trapattoni guckt verschmitzt und sieht dabei für einen langen Moment ziemlich genau so aus wie Bilbo Beutlin – und ja, ich erinnere mich, das an anderer Stelle auch schon über den Papst gesagt zu haben. Bilbo Bene Trapattoni sagt: „Brabrabrabrabbbra Brmmm Brabrabrab. “(auf Deutsch oder Englisch oder Hobbit), und der Außenkorrespondent übersetzt: „Also, im Großen und Ganzen hat der Trapattoni gesagt…Hmmm. Na ja. Egal.“ Aber jetzt zurück zu….. (TGV –Bremsgeräusch) : Kaaaa…… triiiiiiiin….. unnnnnnd…… Ooooooooooo….. liiiiiiiiiiiiii….
Passiert aber nicht. Stattdessen steht der Außenkorrespondent immer noch da und jemand trägt ein Kabel durch´s Bild. Bene Trapattoni zieht sich diabolisch grinsend einen Ring über den Finger.
Minuten später, bei Kaaatriiiiiiiin und Oliiiiiiii, ein Neuzugang: ein flottes Studentinnen/ Sopranistinnenmodel mit Laptop lacht mit Oli darüber, wie doof der ist, weil er nicht twittern kann, sie aber schon. Gemeinsam twittern sie kichernd Olis Abendessen nebst begleitenden Darmgeräuschen.
Und während ich mir all das verkneife, sagt Oli auf die Frage, ob der Manuel Neuer sich so weit aus dem Tor bewegen dürfe: „ …weiß du, als ich noch aktiv war, denn ich hab ja auch mal Fußball gespielt, und da hätte sich also so ein Stürmer ins Mittelfeld verirrt, dann hätte ich dem auch gesagt, was machst du denn hier, geh zurück auf deinen Platz…“
Und Pola sagt trocken: „Das denkst du, dass du das gesagt hast. In Wirklichkeit hast du gesagt: „Uhh!!! Aahhhhggg! EYYYYHHHH!!!“ Dazu schlägt er sich gekonnt kahnesk vor die Stirn und auf die Brust.
Ich ziehe ihn an den Haaren zu mir herum und blicke ihm in tiefer Zuneigung in sein Meta –Auge. Für einen Moment ist es ganz still. Dann brüllt Mimi „Uhh! Aahhggg! EYHHHHHHH!!! und schlägt ihren Vater vor die Brust. Danach fällt sie mit dem Gesicht vornüber in die Salzstangen und schläft ein. Friedrich murmelt „Trapattoni… Pflanzenfresser… Rrrrawr…“ und schleppt sich die Treppe hoch ins Bett. Mein Mann macht den Fernseher aus.