Mellow auf Malle (#instagrim realities)
Wir waren im Urlaub auf Mallorca, und ich habe ab dem fünften Tag angefangen, vor lauter Langeweile und Verdruss auf Instagram darüber zu bloggen. Das hat mir auf ganz verblüffende Art die Laune gerettet und ich dachte mir, das möchte ich auch hier mit euch teilen! Die Reaktionen, die von Eintrag zu Eintrag zahlreicher und toller wurden, haben mich getröstet und amüsiert, und ich werde ab jetzt die sozialen Medien noch viel mehr so nutzen: für unelegante Ehrlichkeiten und echte Gemeinschaft. Es wäre doch toll, wenn das Internet ein echter Ort von Verbindung sein könnte, und nicht nur Leinwand für unsere geschöntesten Projektionen. Realität rockt.
Erster Eintrag, Tag fünf:
Ich finde, wir posten alle zu wenige Fotos vom uns scheiße fühlen im Urlaub. Ich fang an: hier bin ich, wie ich mich scheisse fühle auf Mallorca. Ich habe einen Urlaub gebucht, offenen Auges, der hauptsächlich den Kindern gefallen sollte. Im kühlen und klugen Kalkül, dass wir Erwachsenen dann auch eine gute Zeit haben würden. Fail as old as time: für die Kinder geht der Plan aus verschiedenen Gründen nicht auf und jetzt langweilen wir uns alle zu Tode. Und ich bin überkommen von surftauglichen Wellen des Weltschmerzes. Wir hatten zuhause eine schwierige Zeit und hätten einen tollen Urlaub gebraucht und verdient gehabt, und jetzt ist ALLES BLÖD und ich bin erstaunlich unversöhnlich und all die klugen Lieder helfen mir nicht weiter. Und jetzt ihr! (P.S.: was hilft, ein bisschen: albern in Bildern rum zu kritzeln.)
Melancholie auf Mallorca/ #instagrim realities, Teil 2:
Wir sind seit einer Woche hier und ich kämpfe immer noch gegen die Schwermut. Alle meine Hilfsmittel helfen mittelmäßig – mit nackigen Füßen auf warmen Steinen laufen, Entchen füttern, gutes Buch lesen, Atmen, Blutopfer, etc.
Ich weiß genau, wie und warum ich mich in der Planung verzockt habe: weil ich schon völlig auf dem Zahnfleisch ging, als ich den Urlaub organisiert habe. Wir waren monatelang abgelenkt von akutem Familienalarm (Schulplatzsorgen. Ich liebe dich, Berlin, aber du bist ein Arschloch.), und schon davor völlig ausgelaugt von zwei ruppigen Jahren, über die ich vielleicht an anderer Stelle mal schreiben werde. Als sich alles beruhigt hatte, waren es nur noch zwei Wochen bis zu den Ferien, und Alles, was ich wirklich gewollt hätte, war ausgebucht. Dann habe ich panisch irgendwas einigermaßen Ähnliches eingetütet, et voila: knapp daneben ist auch vorbei. Es sind die Details, die machen, dass es nicht funktioniert: keine anderen deutschsprachigen Kinder, Naturschutzgebiet vor der Nase, aber man darf nicht reinlaufen, Strand vor der Nase, aber auch der ist nur zum Angucken, zu heiss zum Fußballspielen, kein Auto… Und plötzlich sitzen die Kinder nur auf dem Zimmer und halten sich verängstigt an ihren Telefonen fest. Und die Eltern sitzen am Pool und fragen sich, was zum Teufel sie hier machen, haben aber nicht genug Kraft, um irgendwas umzugestalten. Und ja, ich weiß, dass das Luxusprobleme sind, im allerengsten Sinne. Aber Luxusprobleme, wenn sie an sehr reale Probleme anschließen, können einem manchmal ein bisschen das Herz brechen. Und jetzt kommt ihr! Am Meisten freue ich mich über anderer Leute missglückte Urlaubsgeschichten.
Mellow auf Malle/ #instagrim realities, Teil 3:
Ihr habt mir gestern so die Laune gerettet mit euren Geschichten über eure eigenen vergurkten Urlaube! Saß schallend vor Lachen mit Pola im Bett und plötzlich war alles gar nicht mehr so finster! Besser noch als die besten Ratschläge: sich über die Entfernung zunicken, mit einem schiefen Grinsen, das sagt: ich weiß, mein Häschen, ich weiß.
Mallorca selbst finde ich übrigens sehr schön, sind auch schon das zweite Mal hier. Deprimiert bin ich vom Pauschalhotel, das wir nur für die Kinder gebucht haben- und von der alles zersetzenden Familienträgheit, die jeden Versuch, das Steuer rumzureißen, zu einem zähen Ringen macht, das meistens im Straßengraben endet.
Denn das ist die finsterste Wahrheit in solchen verfahrenen Urlauben: es mangelt nicht an Einsichten, was man tun müsste, und in anderen Situationen, mit ein bisschen mehr Kraft, würde man sie tun. Das Beste draus machen. Meditieren. Ausflüge machen. Bogenschießen lernen. Aber manchmal kann man einfach die Arme nicht heben, und das Herz.
Und so sehr es mich freut, wenn anderer Leute Kinder im Urlaub ‘leicht glücklich zu machen’ sind: meine Kinder sind schon ziemlich groß (teilweise größer als ich) und haben sehr große Füße, die es schwer machen, irgendwo hin zu laufen, dazu noch: eigene Meinungen, komplexe Seelenleben… und Zugang zu Mobiltelefonen. Versuche, sie ,einfach mit einem Schäufelchen in eine Matschpfütze’ zu setzen, führen meist zu durchwachsenen Ergebnissen.
Trotzdem aber auch vielen Dank für die zum Teil tollen Tipps! Ich fürchte, ich muss noch mal mit besserer Laune zurück kommen, um all die tollen Sachen machen zu können. Mindestens einen davon werde ich aber auch in der verbleibenden Zeit noch umsetzen. Ganz bestimmt. Habt ihr noch tröstende Urlaubsdebakelgeschichten für mich? Social Media, powered by Echtes Leben macht sehr viel Spaß!
Unlocker auf Mallorca, Teil 4:
Liebe Grüße aus dem Palma Aquarium! War toll! Haie! Zum Durchlaufen! Wale! In 3D! Jetzt sind wir platt und geplättet (in 2D) wieder im Hotel und die Laune ist deutlich besser. Ich muss natürlich gleich ein bisschen aufpassen, dass ich mich wegen der vergrämten Zeit nicht gleich noch mal extra gräme. Aber nein, ich bin ganz hai-ter. Höhö. Ihr seht, mir geht es besser! Und das hat nicht wenig mit euch und eurer Ferienkrisenbetreuung zu tun. Instagram macht so viel Spaß, wenn man als ganzer, echter Mensch daran teilnimmt. Jetzt: lesen auf der Liege. So langsam kriege ich die Kurve, auf den letzten Metern.
Melodrames Mallorquines/ #instagrim, Teil 5:
Heute dachte ich mir, dass diese Urlaubsdebakel eigentlich in der Planung anfangen. Bei uns bin ich die Urlaubsplanerin, und ich verzweifle Monate vor einer Reise daran, unser aller Bedürfnisse unter einen Hut zu kriegen. (HAHAHA!!! Zeig mir DEN Hut!!!) Das größte Problem aber: die Wahl eines Reiseziels/ Reisestils wird jedes Mal zu einem Familienwerte- Waterloo. WER SIND WIR??? Meine eigenen Prägungen, meine Erwachsenenrealität, Polas Prägungen, unser Kiez, unser Freundeskreis, die Unfreiheiten des Schulkinderhabens, unsere Vergangenheit als Helden, anderer Leute Social Media –Urlaube: alles vermischt sich zu einem infernalischen Cocktail, Piña de Loco.
Sollten wir die Familie sein, die campen geht? Müssten wir mit dem Fahrrad den Rhein entlang fahren? Kayak fahren? Brettspiele spielen? Sind wir zu blöd, um einen Badeurlaub zu genießen? Warum können wir nicht Ski fahren? Müssten wir mehr saufen, um All Inclusive würdigen zu können? Hätten wir unsere Kinder komplett ohne Unterhaltungselektronica aufziehen sollen? Sollen wir die Kinder einfach dem Internet schenken und drauf scheissen? Warum waren wir noch nicht in Kalifornien? Wie bescheuert ist es Angst vor Erdbeben zu haben? Ach so, und: wollen wir überhaupt noch fliegen? Sollten wir nur noch mit dem Zug fahren? Warum gibt es keine Nachtzüge mehr? Wie weit kommen wir mit dem Zug, wenn alle wach sind? Was würde ich eigentlich wollen, wenn ich keine Kinder hätte? Hmm, habe ich ja aber. Sollen wir vielleicht zuhause bleiben?
Ich habe neulich gelesen, dass man eine begrenzte Anzahl von Entscheidungen fällen kann, danach ist für den Tag der Ofen aus. Wenn ich einen Urlaub eingetütet habe, ist die Entscheidungsenergie für Monate aufgebraucht, noch bevor ich die Haustür zuziehe. Wenn dann im Urlaub der erste fragt, ,Was maaaacheeeen wir heute???’ dann macht mein Hirn ziemlich genau noch Pfffffffffffffffffffffffffff. Das letzte, ersterbende ‘f’ denke man sich an den letzten Urlaubstag.
Geht euch das auch so? Oder ist das bei uns (verwirrten Rockstars) zugespitzt, durch allgemeine, unlösbare innere Heimatlosigkeit? Sagt mal.
Letzter Tag! Und ich habe herausgefunden, was mein Hauptproblem mit diesem Urlaub war! Die Einsicht stimmt mich seltsam heiter: ICH WILL ÜBERHAUPT KEINEN URLAUB MACHEN. Ich will nur endlich mal wieder in Ruhe ein paar Wochen am Stück meine Arbeit machen, Erwachsenenzeit haben, Tage haben, die planbar sind und mir gehören, für das, was mir in meinem Leben am Meisten Spaß macht: kreative Arbeit. Ich bin nicht überarbeitet, ich bin unterarbeitet, und ausgelaugt von einer nicht enden wollenden Reihung von Ausnahmezuständen. Von Schulbazaren und Sommerfesten und Sportfesten und Abschiedsfesten und Infekten und Lehrerfortbildungstagen und Lehrerstreiks und tollen Projektwochen, die aber leider um elf Uhr dreißig enden, in Reinickendorf, ob wir die Kinder bitte abholen könnten? Und Muffins backen? Und daneben noch der Endgegner, Schulbewerbung in Berlin, der mich seit Monaten so sehr in Atem gehalten hat, dass ich, ohne Übertreibung, kaum zu was Anderem gekommen bin. Danach zweieinhalb Wochen Sommerferien zuhause, die mir dieses Jahr von Anfang an wie ein besonders höhnischer kosmischer Witz erschienen sind. Jetzt sitzen wir hier seit zwölf Tagen auf Mallorca und es nervt. Ab morgen dann noch mal zweieinhalb Ferienwochen zuhause. Wenn ich endlich mal wieder eine Woche am Stück mein Ding machen kann, führe ich ein Freudentänzchen auf (siehe Symbolbild). Und jetzt ihr!
Mallorca -Maladie, letzter Teil:
Jetzt ist er vorbei, dieser beknackte Urlaub. Was gut war:
– die Entchen auf der Terrasse
– ‚On Writing‘ von Stephen King
– Das Aquarium in Palma (Haie!)
– Nackigen Füße auf warmen Steinen
– Die Altstadt von Alcúdia – Als meine Tochter ‚Da ist wieder das Suppenhuhn!‘ zu dem Sumpfhuhn gesagt hat.
– Als das Suppenhuhn später mit einem winzigen Suppenküken wieder vorbei kam.
– Die Scheibenwelt -Trilogie (Teil1) von Terry Pratchett.
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Am Besten fahre ich tatsächlich mit der Einsicht, dass dies nun eben ein Scheißurlaub war. Die Tatsache, dass mein Scheißurlaub anderer Leute Traumurlaub ist, macht das natürlich schwierig: Dankbarkeit! Positiv denken! Cocktails! Grrrrrrr.
Das größte Problem macht mir aber wohl mein eigenes magisches Denken. Mein Schriftstellerherz, dass in jeder Lebenslage versucht, eine stimmige Geschichte zu fabrizieren, findet eben, dass eine schwere Zeit durch einen schönen Urlaub/ ein Wunder!/ ein Zeichen! belohnt und rituell beendet werden muss. Stattdessen: das leise, lang anhaltende Furzen des echten Lebens. Und die vage Hoffnung, dass -genau so langsam- alles (mal wieder, für eine Weile) besser wird.
Danke euch allen für die tollen Kommentare, das war sehr gut fürs Herz, und langweilig war es mir ganz bestimmt nicht mehr.