Herbst – Tour 2018: wunderschönes Novemberchaos
Jetzt ist sie schon fast vorbei, unsere wunderschöne Herbsttour! Und ich bin so froh, dass wir das noch mal machen konnten, so laaaaange, lange Zeit nach Veröffentlichung von „Ich bin das Chaos.“ Anderthalb Jahre ist sie schon alt, meine Platte, und ihr habt uns noch mal so eine große Sause ermöglicht!
Ich war im vergangenen Herbst, auch wenn ich zu dem Zeitpunkt wahrlich „größere“ Sorgen hatte, wirklich sehr traurig, die damals geplante, zweite Tourrunde zu „Chaos“ absagen zu müssen. Klar, eine Hirnhautentzündung macht manche Entscheidungen leichter – ich kann meinen Kopf nicht heben? Ich habe einen Tropf im Arm? Gut, naja, dann vielleicht doch absagen –, aber ich habe heftig um die Konzerte getrauert.
Ich hatte damals das Gefühl, wir kommen gerade erst richtig in Fahrt, und sind als Band genau da, wo ich uns seit „Ein leichtes Schwert“ haben wollte: frei und leicht und funky und ON FIRE. Und mit einer riesigen Auswahl von Songs unterm Gürtel, aus denen ich gerade angefangen hatte, mein perfektes Set zusammen zu stellen. Diese Freispielrunde, die traditionell leichtere, lustigere zweite Tour zur Platte aufgeben zu müssen, ist mir wahnsinnig schwer gefallen.
Und jetzt, genau ein Jahr später, kriegen Platte und Band noch mal so eine grandiose Ehrenrunde! Das macht mich sehr froh, und es hilft mir enorm, das schwierige vergangene Jahr zu überschreiben.Wir haben eine wunderbare Reisegruppe, es wird spaziert und Yoga gemacht, und bis um vier Uhr morgens Musik gehört und Wayne´s World geguckt. Und unser Neuzugang, Catharina Schorling, ist vor und hinter der Bühne ein riesiger Gewinn. Die Konzerte glühen und leuchten und wärmen das Herz, und ich habe das Gefühl, das irgendwas mit dem (ohnehin schon immer entzückenden) Publikum passiert ist: irgendwas rollt anders, ich spiele nicht mehr um die Erlaubnis, das alles machen zu dürfen, auch ohne Helden. Mein Publikum (Ja, ich sehe euch, viel mehr, als ihr denkt!) rührt mich, ich habe das Gefühl, in jeder Stadt sehen zu können, welche Leute über welchen Einfallwinkel zu mir gekommen sind, meine Leute sind bunt und klug und offen und freundlich und enthusiastisch und wunderschön, und sie sind aus vielen verschiedenen, aber guten Gründen da.
Mein liebster Moment in jeder Show ist der, wenn zu den ersten Akkorden von Analogpunk die fünfzehn Gamer -Herzen im Publikum aufleuchten, mit einem kaum hörbaren „Dleeeedüüüüüü -Blingggg!“. Oder, besser noch, wenn der eine Typ in der letzten Reihe das Binärcode -Solo mitsingt. Aber ich liebe auch die Paare mit den tiefen Augenringen, die extatisch zu Pechmarie tanzen – I see you!!! Ich mag die alten Punks mit den blauen Haaren, die zu „die Konkurrenz“ die Fäuste recken, ich mag die Neunjährigen, die zu ihrem Theme -Song „Ich bin das Chaos“ wie Flummis vorne am Bühnenrand auf und ab hüpfen. Ich mag die LGBTQ -Pärchen, denen bei „The Geek“ die Tränchen in die Augen steigen und ich mag den Uni -Professor, der meine Gedichte sehr smart findet, aber nach dem Konzert mit dem Tonmann schimpft, weil er die Texte nicht verstanden hat. Ich liebe das überraschend junge Mädchen, das bei seinem ersten und einzigen Heldenkonzert 2012 acht Jahre alt war und jetzt alle meine neuen Songs auswendig kann. Und ich liebe die Leute, die weinen, auch wenn ich sie nicht direkt angucken kann.
Die Verbindung zu dem, was ich JETZT mache, scheint auf dieser Tour bei vielen Leuten eine Stufe tiefer gesackt zu sein, schätzungsweise Richtung Herz, und ich fühle mich gewürdigt und getragen – noch viel mehr als in den vergangenen sechs Jahren, in denen, bei all dem Spaß und aller wunderbarer Unterstützung, immer auch ein bisschen dickes Fell und Trotzdemmachen mit dazugehört haben. Ein bisschen, als würde meine pathologische Tapferkeit sich endlich auszahlen. Wie Henning May mal zu mir gesagt hat „Du bist so mutig, du bist ja quasi in den gleichen Ring zurückgekehrt, nur als Fliegengewicht!“ So isses. It takes blood and guts to be this cool.
Und ja: ich war schon wieder krank auf dieser Tour. Aber halt krank wie in „November“ und nicht wie in „bedrohlich und rätselhaft erkrankt mit abartigen Schmerzen,“und das ist, äh, eine echte Verbesserung. Es tut mir trotzdem sehr Leid um die Show in Northeim, die wir absagen mussten wegen Stimmbandentzündung– aber wenn ich im vergangenen Jahr was gelernt habe, dann dass ich nicht mehr zu weit über meine Grenzen gehen werde. Trotzdem: wenn ich etwas absage, dann könnt ihr davon ausgehen, dass es die absolut allerletzte, einzige Lösung war. Ein Konzert abzusagen, bricht mir IMMER das Herz und kostet mich übrigens auch jedes Mal richtig viel Geld, von daher: wenn ich was absage, geht davon aus, dass ich, nun ja, nicht spielen konnte.
Im Übrigen habe ich, auch aus der Erfahrung dieser Novemberrutsche – auf der ich übrigens nicht die Erste, sondern die Letzte war, die krank geworden ist – einen Schluss gezogen: ich werde in Zukunft, bis auf Weiteres, keine geschlossenen Touren mehr spielen. Ich will Konzerte spielen, ich liebe es, auf Tour zu sein, ich bin gerne im Tourbus, ich habe mit vielen Sachen, die anderen Leuten auf Tour Probleme machen, keinerlei Schwierigkeiten. Ich brauche keinen Platz, ich brauche keine tolle Dusche, ich brauche keinen guten Kaffee. I got my arms, got my hands, got my fingers, got my legs, got my feet, got my toes, got my liver, got my blood… I got life.
Aber ich will mich nicht mehr dem Druck aussetzen, im November drei Wochen am Stück in einem rollenden Bunker mit zwölf Personen unterwegs zu sein, und auf keinen Fall krank werden zu dürfen. Ich will krank sein wie andere Leute.
Deshalb werde ich ab jetzt etwas ausprobieren, was man „Neverending Festivalsommer“ nennen könnte: ich will in relativ regelmäßigen Abständen so was wie drei, vier Konzerte am Stück spielen, großzügig über´s Jahr verteilt. Weil: stressig wird der Schnupfen dann, wenn man denkt: Fuuuuuck, am dritten Tag!!! Von 24 Tagen!!! Wenn man denkt: na gut, dann halt ein, zwei schnupfige Shows und dann ab nach Hause ins Bett, dann fühlt sich das völlig anders an. Und zu meinem sturen Entschluss, so was wie ein Leben zu haben, passt diese Art des Tourens natürlich auch deutlich besser.
Den Neverending Festivalsommer wünsche ich mir allerdings schon seit sechs Jahren, und es gibt logistisch Einiges, was dagegen spricht, nicht zuletzt, das man einen neverending Festivalsommer auch endlos promoten muss und, äh, wer will das denn. Aber ich werd´s ausprobieren. Könnt ihr bitte alle von Alleine kommen? Ich frag ja nur.
Ich bin wahnsinnig froh, dass ich mit Stimmruhe und Medikamenten die Kurve gekriegt habe und wir diese wunderschöne Rutsche so glorios zuende spielen konnten. Wir haben wahnsinnig viel Spaß, ich habe ein wunderbares Gefühl von neuem, lauen Rückenwind unter den Ärmchen und beende die Tour mit einem Gefühl von Versprechen und Glühen und magischen Vorahnungen. Nicht die schlechtesten Voraussetzungen für das, was jetzt als Nächstes kommen mag. Vielleicht ein Podcast. Vielleicht eine Übersetzungsplatte. Vielleicht doch eigene, neue Songs. Mal sehen.
Vielen Dank an alle, die dabei waren, vor, hinter und auf der Bühne!
Liebste Grüße,
Judith
P.S: … auf den Text verteilt ein paar (Video-) Eindrücke von unserer Herbstpartie! P.S. Auf Youtube wird in Zukunft wohldeutlich mehr passieren, wenn ihr Lust habt, abonniert doch den Kanal, der wird ab jetzt sehr viel mehr gefüttert.