Die Songauswahl – Sing meinen Song, Teil 2
Es ist gar nicht so leicht, über die Vorbereitungen zu Sing meinen Song zu schreiben, ohne irgendetwas zu verraten, was das Guckvergnügen schmälern könnte. Ein großer Teil des Spaßes besteht darin, dass Künstler und Zuschauer nicht wissen, wer am Ende welchen Song von wem neu interpretieren wird.
Die Überraschung auf dem Gesicht des Besungenen/Beschenkten ist das, was mir beim Zuschauen mit am meisten Spaß macht – und vielleicht noch das selber Mitraten, Wetten abschließen, das quietschende Wußtichsdoch oder Whatthefuck.
Nichts über die Vorbereitungen zu schreiben, wäre trotzdem schade, deswegen werde ich mich an einer spoilerfreien Variante probieren. Ich glaube, kaum jemand kann sich vorstellen, wie viel Liebe und Hirnschmalz alle Beteiligten in diese Sendung stecken müssen, bevor es überhaupt losgeht.
Vielleicht ist es sogar diese Vorbereitungszeit, die erklärt, wieso Sing meinen Song so funktioniert, wie es funktioniert. Die viel diskutierte Innigkeit, die Entspanntheit, auch das gern beunkte „gegenseitige Abgefeiere“ – das alles wurzelt in diesem Vorlauf, in der Tatsache, dass alle sieben Künstler sich zu dem Zeitpunkt, wo sie sich in Südafrika treffen, seit Monaten aufeinander vorbereiten, aneinander abkämpfen, entgegen aller Wahrscheinlichkeiten aneinander festlieben.
Ich wurde von vielen Freunden gefragt, ob man sich die Songs denn wirklich selber aussuchen kann. Die Antwort heißt: Ja, kann man. Aber natürlich gibt es Lieder, bei denen man sich mit anderen Teilnehmern ins Gehege kommt. Manchmal mit allen sechs. Deshalb sucht sich jeder teilnehmende Künstler früh drei Songs pro Künstler aus, kreuzt dann die Finger und hofft das Beste.
Schon bei der Vorauswahl dieser (sechs mal) drei Songs habe ich so viel Spaß, wie lange nicht mehr. Nächtelang tauche ich ab in das Jahrzehnte umspannende Gesamtwerk von Mary Roos und verfolge fassungslos Marys ersten Hit, als Neunjährige („Ja, die Dicken, die sind ja so gemütlich“), ihre groovigen, schwarzweißen Tanzmooves mit 17, ihre schallernden und schillernden ESC -Erfolge. Tagelang setze ich mich danach mit dem Schaffen von Rea Garvey auseinander, den ich seit ungefähr 2002 vom gemeinsamen Herumhängen auf Festivals kenne und für einen rundum guten Typen und fantastischen Sänger halte, aber von dem ich noch nie 50 Songs hintereinander weg gehört habe. An den darauffolgenden Tagen tauche ich ab in die überraschend vielfältigen Soundwelten von Stimmwunder Leslie Clio, und frage mich hauptsächlich, bei welchem Song ich irgendwie mit intakter Würde durchkommen könnte. Danach Mark Forster – von dem schon Einiges bei der letzten Staffel „weggesungen“ wurde, was mir auch ganz gut zu Gesicht gestanden hätte (Natalie! Seufz). Und dann Marian, von dessen einschüchterndem Gesamtwerk für mich nur ungefähr fünf Prozent überhaupt in Frage kommen: ich hab´s asthmabedingt nicht so mit den großen, opernhaften Melodiebögen, er aber, äh, schon. Nur bei Johannes Strate weiß ich sofort, was ich machen will. Und verbringe dann doch noch Stunden im Land der Revolverhelden, um den Schmerz abzupuffern, falls meine Erstwahl nicht klappt.
Song für Song muss ich abgleichen: welcher Song gefällt mir, welcher Song könnte mir gut stehen, was kann ich überhaupt singen, ohne mich total auf die Schnauze zu legen? Songs werden anprobiert, herumparadiert, kichernd oder weinend wieder aussortiert. Heiße Favoriten sehen aus der Nähe unvorteilhaft aus, absurde Obskuritäten passen plötzlich wie angegossen. Manche Songs springen mich an, genauso wie sie sind, andere flüstern mir Flausen ein, was ich mit ihnen anstellen könnte.
Als dann nach etwa zwei Wochen alle sieben Künstler ihre Favoriten eingereicht haben, geht es weiter: zur Songkonferenz. Dort sitzen wir, nacheinander, für etwa zwei Stunden dem kompletten Team der Sendung gegenüber und halten innige Plädoyers für unsere Songs. Die Produzenten, allesamt umgängliche und supere Typen und Typinnen, ringen verständnisvoll mit den Händen oder feixen zufrieden vor sich hin und sagen: „Hmmmmmm.“
Danach vergehen einige bange Tage, und dann geht das Geschacher los. Geschacher heißt in meinem Fall, dass ich einen
freundlichen Anruf von Sendungsgeistesvater Torsten Sprick bekomme, der mich mit Engelszungen davon überzeugt, bei meinen zwei dringlichsten Herzensfavoriten doch auf den zweiten Platz auf meiner Liste auszuweichen. Weil, zum Beispiel, jemand Anderes sonst überhaupt keinen von seinen Favoriten bekommt, ich aber immerhin schon vier Lieblingssongs sicher in der Tasche habe. Seufz. Na gut.
Die Produzenten ihrerseits haben natürlich auf dem Schirm, dass von jedem Künstler eine möglichst breite Auswahl gezeigt werden soll, und im besten Fall auch verschiedene Epochen seines Schaffens. Wenn sich also alle Teilnehmer um den gleichen großen Hit kloppen, dann wird es schon mal eng, wenn man sich aber ein abseitiges Frühwerk ausgesucht hat, und dazu noch eine schlüssige Vision für die Umsetzung vorweisen kann, dann hat man den Song so gut wie in der Tasche.
Als sich der Staub legt, gucke ich auf meine Ausbeute, und bin ziemlich rundum entzückt: Meine zwei allerheißesten Favoriten habe ich beide nicht bekommen, bin aber nach mehrmaligem, tiefen Durchatmen wirklich glücklich mit den Alternativen. Die vier anderen Songs sind genau die, die ich mir ausgesucht hatte.