Katzen auf Putzrobotern und Silberrücken mit Weingläsern – Ein Bericht von der Frankfurter Buchmesse
Das war also die Buchmesse! Meine erste als „Autorin“ oder „Lyrikerin“ – als solche wurde ich in den letzten Tagen immer wieder bezeichnet, freundlich und respektvoll, und es freut mich und lässt mich milde erröten – aber so richtig angewachsen ist es noch nicht. Muss es ja auch nicht! Das ist ja das Schöne am Hakenschlagen – das man nicht festwachsen muss an neuen Identifikationen. Ich freue mich, dass ich hier dabei sein darf, zwischen den Autoren und Lyrikern und Verlegern, zwischen den schlauen Löwinnen und Silberrücken mit ihren Weingläsern. Als Touristin in einer Welt, die ich liebe, seit ich lesen kann. Was mich selbst angeht, ich bleibe erstmal bei: „Ich habe ein Buch geschrieben. Mit Tiergedichten, für Erwachsene. Ja, Kinder tolerieren das bestimmt auch, aber gemeint habe ich mich, äh, Erwachsene. Und ja, ich liebe Robert Gernhardt.“
In Wirklichkeit ist das hier aber nicht meine erste Buchmesse. Als Kind war ich mindestens zweimal in Frankfurt mit dabei – im Schlepptau meiner Mutter, ihres Zeichens literarische Übersetzerin. Ich kann den verträumten Blick durch untertassengroße Kinderaugen mühelos wieder heraufbeschwören, wenn ich durch die Stände mit den unzähligen, schweren, haptischen Büchern streife. Ja, ich war eines jener Kinder, die beim Essen die Gabel zur Stirn führen, weil sie lesen, die Bushaltestellen verpassen, weil sie lesen, die Nachts Taschenlampen unter die Bettdecke halten und sich bei jedem Besuch in der Stadtbücherei beinahe einen Bruch holen. Die Buchmesse war und ist für mich ein Schlaraffenland. The Geek shall inherit the earth.
Das gleiche Gefühl macht sich auch jetzt in mir breit, während ich Mara Ebinger vom Tropen Verlag durch die Gänge hinterherhetze, von Interview zu Interview. Ständig möchte ich stehen bleiben und zwischen den Ständen verloren gehen – aber am Mittwoch habe ich ein strammes Programm. Interviews, die meisten davon vor Publikum, von zehn bis halb sechs. Die netten Leute vom Tropen Verlag sind erstaunt über meine Tapferkeit, aber die Wahrheit ist – ich kenne es viel „schlimmer.“ Die Interviews sind durch die Bank interessant, die Journalisten gut vorbereitet und offen, alle scheinen sie sich generell über mich und mein Buch zu freuen. Außerdem freue ich mich, dass Vanessa Karré, die für den „wahnsinnig schön“ -Aspekt des Buches verantwortlich zeichnet, freundlich und duldsam nebenherläuft und mich ab und zu rückversichernd angrinst.
Und, wer hätte das gedacht: die meiste Menschen sprechen gerne über Tiere. Ein Kameramann erzählt mir von der Tierhaarallergie seiner Freundin, ein hochverdienter silberhaariger Kritiker vom Tod seines geliebten Hundes, eine Frau vom öffentlich rechtlichen Fernsehen von den Meerschweinen auf ihrem Balkon. Und ich, die ich über kaum ein Thema so gerne und lange sprechen kann, wie über Tiere – ich wandle (schnell, aber) selig und entspannt von Stand zu Stand.
In jedem der Interviews darf ich mindestens eins meiner Gedichte vorlesen, mir deutlich die liebste Art, mein Buch vorzustellen. Weil, mal ehrlich, über Gedichte sprechen ist wie Foxtrott tanzen zu Alban Berg. Auch die Menge der Interviews kann mich nicht schrecken, ich bin dankbar für die Aufmerksamkeit für mein verqueres Buch und außerdem: ich kenne es ganz anders. Eine Platte zu veröffentlichen bedeutet Promotion auf Buchmesse-Level, zwei Wochen am Stück, jeden Tag, und diese zwei Wochen sind nur die Rush Hour auf der verstopften Autobahn zum Charteinstieg.
Bisher erscheint mir das Buchgeschäft, wer hätte das gedacht, um einiges entspannter als das flirrige, ständig mit den Armen rudernde Musikgeschäft. Der Hauptunterschied ist wohl ein technischer: eine Plattenveröffentlichung, trotz aller gegenteiliger Einsicht, läuft immer noch hysterisch auf das Veröffentlichungsdatum zu.
Das überholte Chartsystem legt einen imaginären Schwerpunkt auf die Chartpositionierung in der ersten Verkaufswoche . Der Charteinstieg wird mit zusammengekniffenen Augen beobachtet und wirkt zurück auf Radioeinsätze und wichtige Fernsehauftritte, die wiederum wirken zurück auf die Charts. Und das alles, obwohl inzwischen jeder Beteiligte weiß, dass man seine eigene Oma zu Dussmann schicken könnte, um die Charts zu manipulieren – so wenige Platten muss man noch verkaufen, um mehrere Stufen auf dem Treppchen nach vorne zu rücken. Und trotzdem sind Plattenfirmen, Künstler und Promoter schon drei Monate vor dem Tag X im absoluten Ausnahmezustand, gefangen in einer Geschäftigkeitsspirale, die sich auf den einen, den wichtigen, den einzigen Tag hinschraubt.
Bei einem Buch, zumal einem illustrierten Lyrikband, scheint der Tag der Veröffentlichung das zu sein, was er vielleicht auch für Musikveröffentlichungen sein sollte – ein Anfang. Und das ist mir als Autorin (huch, da ist es wieder!) wahnsinnig angenehm. Mag aber natürlich auch damit zu tun haben, dass ich nicht das Buch geschrieben habe, dass ich wohl hätte schreiben sollen, sondern dass, was ich schreiben wollte und durfte, dem schönen Tropen Verlag sei Dank. Hätte ich den seit Jahren angefragten Roman über „Buddhismus, aber mit ein bisschen Humor – und vielleicht Sex, und ein bisschen was mit Reisen, und vielleicht Kochen?“ geschrieben, wer weiß, vielleicht würde auch hier die Maschine heißer drehen.
Ich auf jeden Fall wandere rundum beglückt und freudig über meine erste ernstgemeinte Buchmesse, selig in meiner Außenseiterposition, halb Beobachterin, halb Teilnehmerin, und das einzige, was meine Stimmung ganz leicht zu trüben vermag, ist die Tatsache, dass mir die Haut in Schuppen vom Gesicht fällt. Die Luft in diesen Hallen ist so trocken, dass sie einem alle Flüßigkeit aus dem Körper osmotiert, kein Mensch kann so viel trinken, wie er hier verdunsten möchte, und das operationssaaltaugliche Neonlicht trägt nicht wirklich bei zur Besinnlichkeit. Aber was soll´s – dafür sind ja die Bücher da.
Der zweite Tag verläuft deutlich ruhiger, nur der halbe Tag ist verplant, und alle Interviews finden am Stand statt, in einem kleinen Kabuff hinter dem öffentlichen Bereich. Auch heute: nette, interessierte, schlaue Leute, die (wie ich) mit der gleichen Begeisterung über Robert Gernhardt sprechen können, wie über putzroboterfahrende Katzen.
Das letzte Interview des Tages wirft mich dann doch kurz aus der Bahn – weil es mit Fragen zur „Flüchtlingsproblematik“ ein Thema anspricht, dass ich hier auf der Messe kurz wegschieben musste, um funktionieren zu können, und dass mir seit meinem Auftritt mit Aeham Ahmad am vergangenen Sonntag München noch viel mehr an die Nieren geht. Dazu ist es das erste und einzige Interview, in dem ich mich fehlbesetzt fühle – gerade, weil das Thema so nah am Herzen ist und ich mich nicht berufen fühle, verwertbare „Statements“ dazu abzusondern.
Spätestens nach der Frage „Was bedeutet Ihnen deutsche Leitkultur“ antworte ich dann doch etwas ungehaltener, als ich vorhatte und genervter, als die nette, kluge Interviewerin verdient hat. Dementsprechend brauche ich eine halbe Stunde, um mich zu sortieren und zu merken, dass ich ab jetzt frei habe und den Rest des Tage über die Messe schlendern kann, wie es mir beliebt.
Beim Übergang in den Freizeitmodus hilft es sehr, dass ich hintereinander gleich mehreren meiner neugewonnen Twitterfreunde in Fleisch und Blut begegne – und sofort fühle ich mich wieder aufgehoben und verstanden, so wie – im öffentlichen Raum – vielleicht nur die Twittergemeinschaft aufheben und verstehen kann. Ich habe nicht mehr das Gefühl, erklären zu müssen, wer ich bin, sondern einfach wieder tun zu dürfen, was ich eben so tue.
Eben jene Twitterfreunde sind es auch, die mir endlich erklären können, wo ich die Graphic Novel – Community finde, und die unabhängigen Buchverlage mit den schönen Büchern über Postkapitalismus und Degrowth – mein Gegengift nach all der Leitkultur.
Und so finde ich nach kurzem Herumirren zwischen Kochbuchständen, Lernverlagen, christlicher Besinnungsliteratur und Indigokindern schnell den Stand meines Herzen – den vom wunderschönen Reprodukt –Verlag und daneben den von Avant und Edition Moderne. Bei Reprodukt und Avant tausche ich mein druckfrisches Buch gegen schöne Gespräche, ein Bier („mir egal, Hauptsache nass“) und einen Stapel wunderschöner Graphic Novels und Kinderbücher für undoofe Kinder.
Diese Bücher werde ich euch hier (allerspätestens in der Vorweihnachtszeit) noch mal ausführlich ans Herz legen, hier unten dran erstmal nur ein paar Bilder von (Teilen!)meiner Ausbeute. Ich schwöre, alles, was hier unten dran hängt, könnt ihr blind kaufen. Das „Warum“ wird nachgereicht. Grüße auch an die tollen Verlage, zu denen ich es nicht mehr geschafft habe, zum Beispiel Carlsen und die tollen Leute von Terzio mit ihrem Ritter Rost…
Und ja, ich weiß, dass es auch tolle neue Romane und Sachbücher gegeben hätte, aber die Tür musste ich gewaltsam verschlossen halten, sonst hätte man mich wahrscheinlich um Mitternacht delirierend zwischen den Ständen gefunden.
Jetzt sitze ich also im Zug zurück nach Hause, die Eindrücke von der Buchmesse vermischen sich mit den aufwühlenden Gefühlen vom vergangenen Sonntag, der Begegnung mit Aeham Ahmad und den vielen Helfern in München.
Ich lüfte jetzt ein paar Tage lang mein Gehirn und mein Herz aus, und dann werde ich wohl auch darüber noch schreiben.
Danke an Alle, denen ich in dieser schönen Woche begegnet bin,
Judith
Ein Auschnitt des Reprodukt -Programms –
… für Erwachsene:
und für Kinder:
Und von Avant:
Dann noch vielen Dank an Eva Mair -Holmes von Trikont:
… trotz allem schön, auch auf der Buchmesse an tolle Musik erinnnert zu werden.
Ach, und: das Buch hier zum Beispiel hat meine Mutter übersetzt. Ach bei Klett -Cotta.
Ich geh jetzt lesen…