Sleepless in Tórshavn, Teil2
Mittelerde! Mittelerde!
Die sanft geschwungene, beinahe unbefahrene Landstraße in Richtung Tórshavn führt vorbei an steilen, kaum gesicherten Klippen, über eine Insel ganz in Grün- und Grautönen, matt entsättigt und in unwirkliches, stumpfsilbriges Licht getaucht. Mittelerde! Mittelerde! schreit mein popkulturversautes Hirn in Endlosschleife, und ein, zwei Mal lässt mein Mund den Gedanken durch. Teitur lächelt milde, ich bin ganz offensichtlich nicht die Erste, die das sagt.
Das Meer liegt da wie Quecksilber und am Horizont verwischt es in den weißgrauen Himmel. Auf der gesamten Strecke hat man Blick auf mindestens zwei der anderen Färöer Inseln, schroffe, staubig grüne Hügel in bizarren Formationen, die überraschend and die fantastischen Felsennadeln vor der Küste Thailands erinnern.
Im Vorbeifahren zeigt Teitur auf ein Dorf auf der gegenüberliegenden, kleineren Insel und lacht: „Das da ist das traurigste Dorf der ganzen Faröer, sie haben sich aus Versehen auf der Schattenseite angesiedelt. Direkt rechts daneben gibt es manchmal so was wie Sonne, und links auch, aber genau da, wo ihr Dorf liegt, bleibt es immer dunkel.“
Wir fahren von der „Flughafeninsel“ rüber auf auf die eigentliche, große Hauptinsel, erklärt mir Teitur. Dort , auf Streymoy, wohnt Teitur mit seiner Freundin Ingilin, zusammen mit 22.450 der übrigen Färöer, oder Färinger, wie ich lerne. Es ist die Bewohnteste der achtzehn kleinen Inseln zwischen Island und Schottland. Gesamteinwohnerzahl aller Inseln zusammen: knapp 50.000. Zum Vergleich: in Kreuzberg leben 275.691.
Um nach Streymoy zu gelangen, durchqueren wir einen langen Tunnel. Erst nach einigen Minuten eröffnet mir Teitur, dass wir unter dem Meer hindurch fahren: „I thought it might freak you out.“ Ich bin nicht ausgefreakt. Um ehrlich zu sein, steigt in mir eine flüssige, stille Seeligkeit auf, die mich in den nächsten Tagen nicht mehr verlassen soll. So als würde das silberne Licht der Insel mir von innen das Gehirn auswaschen.
Stumm grinsend begrüße ich einzeln die unzähligen Schafe am Wegesrand. Aus meiner hektischen Last Minute – Recherche weiß ich, dass es auf den Färöern deutlich mehr Schafe gibt als Menschen – aber das hier ist beinahe lächerlich, und schlägt zum Beispiel das durchaus schafige Irland um Längen. Die Tiere sind schlicht und einfach überall, in zotteligen, braun –weißen Gruppen zwischen die Felsen und Hügel geworfen. Am liebsten aber stehen sie direkt am Rand der großen Straßen und blöken indigniert den wenigen Autos hinterher. Zäune gibt es keine. Teitur, der meine weißen Knöchel bemerkt, sagt, es gäbe eigentlich keine schafinduzierten Unfälle auf den Färöern. Neulich hätten sich zwei der Tiere auf´s Rollfeld des Flughafens verirrt, aber auch denen sei nichts passiert. Die Schafe hier sind Wikinger: kühn, aber reserviert – sie rennen nicht vor Autos, und auch nicht vor Flugzeuge. Sie haben Würde, und sogar die Lämmer verweigern sich dem weltweit populären Lämmchenschema. Mit ihrem zotteligen, langen Fell sehen aus wie Miniaturhammel, so wie die Puttchen in der sixtinischen Kapelle aussehen wie sorgenvolle Miniatur -Erwachsene.
Andere Tiere entdecke ich kaum, außer ein, zwei stämmigen Mittelerdepferden und den allgegenwärtigen, kreischenden schwarzen Seevögeln. Auch Menschen sehen wir auf unserer Fahrt erschütternd wenige, und noch weniger Autos. Die paar Häuschen, die vertreut in den Hügeln liegen, sind kleine, graublaue, schwarze und dunkelrote Lattenhütten, viele davon haben grasbewachsene Dächer (Mittelerde!). Und trotzdem wirkt nichts Menschengemachtes hier in irgendeiner Weise altmodisch oder urig. Die Färöer Baukultur scheinen eher aus der Zeit gefallen und in ihrer Schlichtheit beinahe futuristisch – halb Tolkien, halb Arne Jacobsen.
Ich werde in Tórshavn (englisches TH –horssshhhaunnnn,) wohnen, der „Hauptstadt“ der Insel– die Anführungsstriche scheinen dazu zu gehören, zumindest für Teitur. Als wir hineinfahren nach Tórshavn, verstehe ich warum: keine drei Minuten nach dem die ersten geballteren Holzhäuschen vorbeiziehen, haben wir den Hafen – und damit das Stadtzentrum – erreicht.
Anmerkung (Wiederholung): Liebe Meeresfreunde, bitte postet keine Bilder von toten Walen mehr in mein Tagebuch. Ich weiß vom „Grindadrap.“ Das heißt: ihr könnt davon ausgehen, dass ich mich dem zuwende, wenn (und wann) ich es möchte. Ich respektiere euer Hingabe an den Tierschutz, bitte respektiert im Gegenzug meine Kunst und meine Erzählung. Und mein digitales Zuhause.