Notizen aus der Versenkung/ Kreuzberg (1-3)
Notizen aus der Versenkung/ aus Kreuzberg (1)… LSD und Einsamkeit
Gestern hat uns die verrückte Schrulle aus dem Nachbarhaus das Kinderspielhäuschen aus dem Hof wegbeschwert – sie hat der Hausverwaltung geschrieben, es behindere die Abwasserdings. Was lustig ist, weil das Häuschen mitten auf der grünen Wiese steht, einen Quadratmeter groß ist und ich ziemlich genau ahne, wie die Abwasserdings funktioniert, nämlich nicht über die grüne Wiese. Hmm. Vielleicht hat sie eher Probleme mit den Junkies, die da nachts drin knutschen. Aber die räumen doch jetzt immer hinter sich auf, seit wir „Kinderhaus“ drangeschrieben haben. Ich weiß nicht.
Ist schon mal jemandem aufgefallen, dass in Kreuzberg überdurchschnittlich viele verrückte Frauen zwischen Mitte 50 und Mitte 60 (grobe Schätzung) wohnen? Theorien dazu werden gerne entgegengenommen. Die mit dem LSD und die mit der Einsamkeit haben wir schon durch.
Exhibit A: Die Alt-68erin, die unter „Da, wo ihr herkommt…“ -Gebrabbel unser auf dem Gehweg fahrendes, blauhaariges Latina –Au –Pair vom Rad schubste.
Exhibit B: Die Nachbarin, die den in der Remise wohnenden Architekten auf dem Weg zwischen Hofeinfahrt und seiner Tür mit Eiern bewarf, aus dem Fenster heraus, und ihn danach wegen „Übertretung/ Missachtung des Wegerechts“ anzeigte. Und die, wo sie schon dabei war, auch noch das nette neue Café im Alleingang gerichtlich zur Schließung zwang. Oder war das wiederum die Nachbarin einen Stock drüber?
Exhibit C: Die Nachbarin aus dem Seitenflügel, die einmal unsere Bobbycars verschwinden ließ, obwohl wir in (gegenseitiger) Sichtweite im Hof spielten – und sie drei Tage und einige zufällige Begegnungen später hektischen Blickes zurückgab – mit der Erklärung „Ihr wart nirgendwo zu sehen und da wollte ich sie in Sicherheit bringen, man weiß ja, was sich hier für Jungs rumtreiben.“ Hey wartet! Die zählt nicht, das ist die gleiche, die jetzt unser Kinderhaus wegklagen will.
Exhibit 4 ist die einzige meiner Verrückten, die ich mag. Tag für Tag patroulliert sie vor unserem Haus, mit grauen, strähnigen Haaren und jahreszeitunangemessener Kleidung. An guten Tagen lächelt sie zahnlos und hält ein Schwätzchen mit uns und mit den Kindern, an mittelguten Tagen warnt sie vor Glas auf der Straße und Jugendlichen, die sie verkloppen wollten. An schlechten Tagen erkennt sie uns nicht.
Notizen aus der Versenkung/ aus Kreuzberg (2)… Manolo Blahhhhnik.
In einem nicht näher benannten Kontext fällt eine geschlechtsgemischte Arbeits- und Interessengemeinschaft (Kamerateam) in unserem neuen kleinen Studio ein. Er so: „Toll, so ein Studio, davon träume ich ja auch…“ Sie so: „Ja, das ist so ein Männertraum, ne? Für mich wäre das dann so ein ganzer Raum voller Schuhe!“ Weia. Jetzt weiß ich, wer all diese in Selbsterkenntnis kichernden Schnallsen beim Mario Barth –Konzert sind. Konzert? Ach, fuck it. Auf jeden Fall die, die dann denken „Ja, stimmt, ich kann auch voll nicht einparken, hihi…“ und sich mit ihrem Partner gegenseitig in die Seiten knuffen, in seligem Einverständnis über die Unüberbrückbarkeit ihrer Differenzen. Also, in seligem Einverständnis über die Unüberbrückbarkeit unserer Differenzen: Alice, bitte komm vorbei und zieh der Frau einen Schuh über die Rübe. Manolo Blahhhhhnik, wenn´s geht.
Notizen aus der Versenkung/ aus Kreuzberg (3)… Kids love a swinging mom
Ich stehe mir auf dem Spielplatz die Beine in den Bauch, frierend und unwirsch, und schubse meine schaukelnde Tochter an. Die strampelt wütend mit den Beinchen, fest entschlossen, sich zwar schubsen, nicht aber festhalten zu lassen und gibt mir detailverliebte Kommandos, allesamt Variationen des Themas „doller… doller“ und „… lleine, …lleiiiiiine!,“ eine Kombination, die sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit rückwärts in den Staub und anschließend ins Krankenhaus befördern dürfte. In meinem Kopf läuft in einer Schleife mein Lieblingszitat aus Tom Hodgkinsons Buch „Idle Parenting“ ab: „…and by all means avoid the mind -numbing dreadfulness of pushing a swing on a playground.“ (Ob das Zitat genau so war, erinnere ich dabei nicht genau, ich weiß aber, dass „mind -numbing“… „dreadfulness“ … „pushing a swing“ und „playground“ in enger räumlicher und inhaltlicher Relation darin vorkamen. Wortgenau, hingegen, erinnere ich mich übrigens an das schöne Zitat: „Kids love a tipsy mom.“ Tränke ich Alkohol, ich würde genau jetzt des Kindes Wunsch nachkommen, Schaukel und Kapuze loslassen und wohlig seufzend meinen Flachmann aus der Brusttasche nesteln. Das macht auch warme Füße.
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