Notizen aus der Versenkung/ Kreuzberg (4 -6)
Notizen aus der Versenkung/ Kreuzberg (4)… Kackallergien
Ich sitze mit meinen Kindern auf dem Balkon, um uns zwitschern unangemessen viele Vögel. Friedrich zeigt auf eine dicke Taube im Baum vor unserem Haus und sagt: „Ein Eichelhäher!“ Die Mutter, entzückt, korrigiert nicht, sondern erfreut sich daran, dass das Kind einen Eichelhäher kennt und weiß, dass er groß und dick ist. „Wie viele Vögel hattest du als Kind, Mama?“ Meistens drei. Zwei Beos und einen Papagei. Konnten alle sprechen, von „Hallo! Hallo!“ (Papagei) bis „Na, du alte Sau!“ (Beo). Der Papagei war sehr nett, die Beos hingegen hackende, kackende Arschlochvögel. Allergisch war ich, wie sich später raustellte, gegen alle drei. Wie auch gegen den Hund, die Ratte, den zugelaufenen Igel, die geschiente Krähe und den zugeflogenen Kanarienvogel. Warten, warten, dann: „Wann kriegen wir eigentlich ein Haustier?“ Hrrrrrrfff. Wenn der selbstreinigende Sittich erfunden wird? Der Streichelfisch? Ein Kuschelchamäleon? Schildkröten mit seidigem Panzer? Die sprechen können? Und durch Reifen springen? Die offenen Türen im tierverliebten Herzen mühsam zuhaltend sage ich: „Weißt du, Sohn, wir können doch froh sein, dass wir so viele Vögel direkt vor der Nase haben, die uns auf unserem Balkon besuchen. Die kacken uns dann auch nicht alles voll. Das machen Vögel nämlich, die kacken einem den ganzen lieben langen Tag die Wohnung voll.“ Kontemplative Stille. Dann Mimi (2 ¾):“ Die sollen dann …. nicht auch immer… in unsere Wohnung immer… kacken!“ Wieder Stille. Dann Friedrich: „Aber Mimi kackt doch auch in unsere Wohnung.“ Ähm, ja.
Notizen aus der Versenkung/ Kreuzberg (5)… Hubschrauber in meinem Bauch
Der Mann und ich, wir gehen auf´s Maifest. Schlendern wollen wir, sorgen-/ kinderfrei, essen, Musik hören, Leute gucken, Tag der Arbeit feiern. Aber ach! Wer hätte das gedacht: es sind schon ein paar Leute da. Schon um zwei Uhr Nachmittags wimmeln sie von unserer Haustüre bis zur Oranienstraße, geschlendert wird mit ähnlicher Muße und Heiterkeit wie Samstags um Vier bei Ikea.
Während wir uns Zentimeterweise die Adalbertstraße in Richtung Epizentrum hochschieben, sagt eine gar nicht maienfrohe Frau ca. 20 cm von mir entfernt zu ihrem quengelnden, weil armgezerrten Kind: „Ja! Ich! MÖCHTE! Ja! Gemütlicher! Laufen! (Du Arschkind, ) Aber! Ich! Würde! Gerne! Zu! Papa (, dem Arsch)! Aufschließen! Aber! Es! Drängeln! Sich! Dauernd! (Arsch -)Leute! Dazwischen!“ Gut, dass der Klang einer Stimme hier nur etwa diese zwanzig Zentimeter weit trägt, sonst hätte der eine oder andere vielleicht das Steineschmeißen ein wenig vorgezogen. Zum Beispiel das Kind. Von wegen Steine und so: von der hässlichen Sozialbaracke quer über der Adalbertstraße, quasi dem Eingangstor zur O –Straße, baumeln (hand -)gestrickte Handgranaten, heruntergelassen von blumenbekränzten, aufgekratzten jungen Menschen. Hübsch.
Sobald wir die Oranienstraße erreichen, werden wir übermannt vom unvorstellbaren Lärm aus geschätzten 50 Soundsystems. Ein einzigartiges Wettrüsten der Lautstärken wird hier veranstaltet, alle Regler stehen spinal –tap –mäßig auf 11. Ich würde sogar behaupten, dass man an jeder Stelle auf diesem Fest alle 50 dargebotenen Musiken hören kann – gleichzeitig, gleich laut, verschmolzen zu einer nie gehörten Maienkakofonie. Krrrrzzzzbummmtschaakkkkkkbrazzzzzztwiedeldoummdoummm! Vor jedem Soundsystem/ jeder Bühne stehen ein paar Hartgesottene, die Lautsprecher umarmend, und versuchen so was wie einen Beat zu finden. Die, die einen gefunden haben, schwingen in tinnitöser Extase vor sich hin.
Ein seltsames, gemischtes Völkchen trifft sich hier. Die Umlandjugend, in Partyhüten und Sangriafahne gewandet, „Ey, gibshier noch ürnkwo Kocktehls?“ skandierend – sie geben der Scherben –Zeile „Der Mariannenplatz war blau“ eine völlig neue Bedeutung. Die „Entfernteres Umland“ –Jugend (aus New York, Mailand, Warschau, Hyderabad, Texas, Neuilly-sur -Seine), gewandet in das, was die internationale Jugend so trägt, „this is so, like, cool!“ skandierend. Dazwischen: Kreuzberger Muttis, Vattis, Kinder, Babies, Teenager – allesamt am unbeeindruckten Kaugummikauen zu erkennen, in deutlicher Abgrenzung zu den schwanzwedelnden, hechelnden Fronttouristen um sie herum. Und dann natürlich, puh, wenigstens ein paar gute alte Chaoten im Rio Reiserschen Sinne.
Pola und ich wiederstehen dem Drang, uns durch dichte Rauchfahnen hindurch zu einem der creolischen Currywurst -und -Köfte–Stände durchzuwursteln, und drücken uns rückwärts durch die Mariannenstraße wieder raus aus dem Getümmel, nach hause.
Abends und bis in den frühen morgen kreisen Hubschrauber direkt über unserem Haus. Auch das fühlt sich sehr international an, aber auch ein bisschen wie in diesem Zombiefilm, in dem sich die letzten normalen Menschen in einem Kaufhaus verbarrikadieren. Das Unwirkliche daran: wenn wir vorne aus dem Fenster schauen, sieht alles aus, wie immer. Hinten raus tobt der Bär, der Steine schmeißende, Wasser werfende Berliner Bär. Pola und ich sitzen viel zu lange auf dem Balkon und fühlen die Vibrationen -hier nicht als ironisierter 70er Jahre –Lingo, sondern wörtlich zu nehmen. Wrrrrrrrrrt sagt unser Haus, in schnurrender Antwort auf die Helikopterrotoren. Vielleicht auch in Antwort auf die summende Energie in der Nachtluft. Ich für meinen Teil gehe viel zu spät ins Bett, Hubschrauber in meinem Bauch.
Notizen aus der Versenkung/ Kreuzberg (6)… Nur für Demonstrationen, bitte
In vager Reminiszenz an die Mai –Feierlichkeiten noch dieses hier, als Nachtrag. Ich weiß, dieses Foto haben einige von euch sicher schon gesehen, mein Freund Ben hat mich gerade darüber aufgeklärt, dass das Ding seit Monaten (Jahren?) im Netz kursiert. Aber, ich schwöre: das hier habe ich selber fotografiert, und zwar vor langer, langer Zeit, als ich noch in der Wrangelstraße gewohnt habe. Zu lange gewartet!!! Nee, da gab´s noch gar kein Facebook!!! Da wart ihr alle noch gar nicht geboren!!! Also, jetzt muss es raus, und vielleicht erfreut es ja noch ein paar, ähm, Facebookneulinge. Oder Leute, die seit Jahren irgendwie da angemeldet sind, aber „Friendface“ dazu sagen. Aufgenommen habe ich dieses Bild übrigens in unmittelbarer Nähe des Harald –Juhnke –Platzes, auf den ich von meiner alten Wohnung aus gucken konnte. Jener Platz heißt natürlich eigentlich anders, der Volksmund hat ihn frech umbenannt, zu Ehren der dort vornehmlich verkehrenden, bierdosenschwingenden Klientel. Eine Klientel, die übrigens hauptsächlich vor, na wo wohl, Aldi aufzufinden war… Und damit isses raus: „Der Platz vor Aldi“ aus dem weltweiten Smash –Hit „Denkmal“ der Band „Wir sind die Helden“ ist der Harald –Juhnke –Platz in Berlin, Kreuzberg. Wie romantisch. Statt eines Denkmals haben sie da jetzt schmucke, scharfkantige Poller überall hingestellt, damit es sich keiner mehr zu gemütlich machen kann. Auch keine Sprayer. Auch nicht Harald Juhnkes ziellos wandernder Geist.