Ein Märchen von Judith Holfelder (12 Jahre)
Ihr Lieben,
dieses sehr hübsche Märchen (beinahe eine Märchenparodie?) habe ich mit zwölf Jahren geschrieben. So weit ich mich erinnern kann, völlig freiwillig, also nicht für die Schule, sondern einfach nur so. Komisches Kind! 😬 Vielleicht hat jemand Lust, es mal vorlesenderweise an seinen Kindern auszuprobieren? Oder still, an sich selbst?
Liebe Grüße,
Judith
P.S: Das auf meinem Schoss auf dem Bild ist kein Drache, sondern mein Kindheitshund Flummi, von dem ihr noch viel hören werdet.
9.7.89
Der Hausdrachen
An diesem Morgen waren die Freiburger ganz aus dem Häuschen. In den Bergen war ein Drachen gesichtet worden! Anderswo kam das alle Nas lang vor, aber für Freiburg war es der erste Drache, und deshalb war vor allem die Königsfamilie sehr aufgeregt. Der König ließ als erstes einmal die Stadtmauer verstärken. Er dachte: wahrscheinlich wird der Drache meine Tochter fressen wollen. Welche Ehre! Als er mit seiner Frau über den festlichen Teil der Übergabe der jungen Prinzessin, Sulila, reden wollte, war die zunächst gegen das Projekt. Es könnte ja was passieren, meinte sie, doch der König beruhigte sie: Natürlich werden wir kein Risiko eingehen. Kurz nach der Übergabe wird ein Ritter losgeschickt, der den Drachen erlegt, unsere Tochter befreit und sie anschließend zur Frau nimmt! Gegen eine Hochzeit hatte die Königin nichts einzuwenden, da wurde gelacht, getrunken und getanzt, sie liebte das. Außerdem würde sie ihre Tochter schon lange gern in festen Händen, also stimmte sie zu. Als sie Sulila die Nachricht von ihrer Ehre überbrachte, rief sie: Hach, wie aufregend! Und überlegte, was sie für ein Kleid anziehen sollte. Das rosane, was so niedlich aussah, oder das weiße, was ihr so gut stand? Nachdem sie sich für das weiße entschieden hatte, wurden die weiteren Vorbereitungen getroffen. Ein langes Seidentuch wurde mit „Herzlich Willkommen“ bestickt und dann am Stadttor aufgehängt. Weiter wurde die ganze Stadt mit Wimpeln und bunten Bändern geschmückt. Jetzt konnte der Drache kommen. Sulila, ihre Eltern, die Hofräte und die gesamte Dienerschaft postierte sich mit dem besten Empfangslächeln vor den Stadtmauern. Aber solange sie auch lächelten, kein Drache kam. Einer der Hofräte hatte die Idee, das so ein Menschen scheues Tier sich nicht an so vielen Menschen heranwagt. Also wurde die Prinzessin zu einer Weg Kreuzung vorgeschickt, um dort allein auf den Drachen zu warten. Angekommen, setzte sie sich auf einen großen Stein und blickte erwartungsvoll auf die Fellöffnung, aus der der Drache kommen sollte.
Tatsächlich hörte sie nach kurzer Zeit ein Schnauben und Rumpeln aus dieser Richtung und ein großer Echsenkopf schob sich zwischen den Felswänden hervor. „Oh Hallo,“ sagte die Prinzessin höflich. Aber der Drache schien sie nicht zu sehen. Er schob sich weiter aus der Felsöffnung und kroch fauchend und knarzend an dem Mädchen vorbei. „Warte, du sollst mich doch entführen!“, sagte sie. Der Drache wand sich um und als er sie ansah, breitete sich ein erfreutes Grinsen über seinen Drachengesicht. „Oh entschuldige, ich hab dich übersehen. Du bist ja auch so klein und zierlich!“ Bewundernd sah er sie an. „Schon gut,“ sagte die Prinzessin. Dann: „Dir passiert sowas nicht, dich übersieht keiner!“ Verlegen meinte der Drache: „Danke, das hört man gern, aber ich finde mich sehr hässlich.“ Er schniefte. „Aber nein, du bist ein hübscher Drache,“ rief Sulila, und sie meinte es ehrlich. Sie fand den Drachen gar nicht so schrecklich. Eher im Gegenteil, je genauer sie ihn ansah, umso mehr gefiel er ihr. Er war nur 10 m lang, auf dem Rücken glänzten wie poliert runde, grüne Hornplatten. Der Rest des Körpers war bedeckt von kleineren Hornplättchen, die in verschiedenen Grüntönen leuchteten. Stirn, Nase und Brust waren mit einem weichen, seidigen Fell bedeckt. Am besten gefielen ihr die Augen des Drachen, sie waren so groß wie Suppentassen, glänzend schwarz und tief in ihnen leuchtete ein rotes Licht. 2Ach, übrigens, ich heiße Sulila, grässlich altmodisch, nicht?,“ sagte sie. Der Drache, dem die Prinzessin auch sehr gut gefiel, meinte: „Ach was, findest du Grimmbald, meinen Namen, besser?“ Sulila hatte einen Einfall: „Weißt du was, ich nenne dich Baldi!“ Und der Drache sagte: „Gute Idee, Lila!“ Die Prinzessin legte ihm die Hand auf den Rücken, und lachend ging sie in die Höhle des Drachens. Dort gefiel es Sulila ausgesprochen gut. Es war heimelig und gemütlich, der Boden war mit weichem Laub bedeckt. An der Wand hingen Bilder der Ahnen des Drachen. In einer Ecke stand ein großer steinerner Herd. In einer anderen ein warmer Kamin. Der Drache war trotz einer Größe ein feiner Koch. Seine Schlangeneier in Aspik mit Regenwurmpüree waren eine Delikatesse. Am dritten Abend in der Drachenhöhle holte Sulila einmal ein Buch, das sie mitgenommen hatte, hervor und begann zu lesen. Der Drache war begeistert. Unbedingt musste er wissen, was es mit diesen Schriftzeichen auf sich hatte und von da an gab Sulila dem Drachen jeden Tag Schreib- und Lese- Unterricht und Baldi führte sie in die Kunst des Kochens ein. Doch mit einem hatte sie nicht gerechnet. Der Ritter, den der König zu Sulilas Befreiung losgeschickt hatte! Er hatte nach tagelangem Suchen die Höhle des Drachen ausfindig gemacht und hatte sich nun hinter einem Stein vor dem Eingang verschanzt. „Komm raus, Biest, stell dich zum Kampf!“ „Geh nicht daraus!“, bat die Prinzessin den Drachen. Doch der sagte: „Sorg dich nicht um mich!“ Und damit trat er heraus. Der Ritter schoss sofort einen Pfeil ab, der den Drachen an der Stirn traf. Sulila schrie auf, doch Baldi schien nicht verletzt zu sein Der dumme Ritter, der dachte, die Sorge der Prinzessin gelte ihm, warf ihr eine Kusshand zu. Da blies der Drache ihm schon eine Stichflamme ins Gesicht. Hustend und spuckend griff der Ritter jetzt zum Schwert. Doch bevor er richtig angreifen konnte, hatte Baldi ihn mit seinem Feueratem schon wieder umgeworfen. Gerade wollte Grimmbald erneut mit Feuer spucken ,da rief der Ritter: „Halt, ich ergebe mich!“ Nun rannte Sulila raus, drückte dem Drachen einen Kuss auf die Drachennase und sagte: „Gott sei Dank, du lebst!“ Da sah der Ritter seine Pleite ein und trat leicht angeekelt den Heimweg an. Er hatte übrigens bei einem anderen Drachen mehr Erfolg und ging als Sankt Georg in die Geschichte ein. Aber die Prinzessin soll lang nicht so schön wie Sulila gewesen sein. Was den Drachen und die Prinzessin angeht: Sulila hat ihm ein Verbände gemacht und ihn gepflegt, so dass er bald gesund war. Sie wurden sehr glücklich zusammen und sehr alt, wegen der gesunden Höhlenluft. Der Drache wurde unter einem Decknamen ein sehr berühmter Schriftsteller, Sulila, eine sehr gute Köchin und wenn sie sich nicht überfressen haben, dann leben sie heute noch. Ende.