Opapi Opapa (Besuch von Paul McCartney und meiner Mutter)
Am 5ten 9ten erscheint das erste Kinderbuch von Paul McCartney, ins Deutsche übersetzt von meiner Mutter Cornelia Holfelder von der Tann – und mir! Ziemlich weit oben auf meiner persönlichen Wunschliste, wenn ich denn auf die Idee gekommen wäre, dass es passieren könnte.
Meine Mutter arbeitet seit meiner Geburt als literarische Übersetzerin. Seit ich denken kann, übersetzt sie tolle Bücher, in jüngerer Zeit zum Beispiel von Daniel Suarez und Tad Williams, oder der von mir heiß geliebten Maria Semple.*
Ich selbst habe in der Folge einen ausgeprägten Sprach- und Sprachenfimmel entwickelt und seit meiner Teenagerzeit immer mal wieder selbst irgendwas Kleines übersetzt: ein paar französische Comics mit Anfang zwanzig, und 2013 dann das Theaterstück Wasted von Kate Tempest. Vor allem aber übertrage ich seit etwa zwanzig Jahren, als Langzeithobby, Lieblingssongs von anderen Künstlern ins Deutsche und spiele sie mehr oder weniger heimlich bei meinen Konzerten.
Dass wir mal was zusammen machen wollen, als Mutter –Tochter –Team, war beschlossene Sache, schon bevor die Anfrage aus dem Hause McCartney kam. Ich hatte nach dem Kate Tempest – Stück immer wieder mal sehr schöne Anfragen bekommen, und jedes Mal bedauernd abgesagt – wegen dieses raumgreifenden Hauptberufes, den ich habe.
Nachdem ich, am Telefon mit meiner Mutter, mal wieder lautstark eine verpasste Chance betrauert hatte (Gedichte von Rupi Kaur!,) beschlossen wir, dass wir die nächste tolle Anfrage annehmen würden, gemeinsam. Und sei es nur als mutter –töchterliche Freizeitgestaltung. So wie andere Leute basteln oder wandern oder die Garage aufräumen. Wir standen also bereit – falls noch mal was Schönes um die Ecke käme. Und dann kam was Schönes um die Ecke.
Paul McCartneys Buch heißt in unserer Version „Opapi Opapa“ und trägt den Untertitel „Besuch von den Krawaffels.“ Es ist sehr süß und sehr opamäßig, und zu allen Beatles –Fan –Fantasien, die man vorher gehabt haben mag, kommt jetzt die dazu, dass man Sir Paul dringend bei sich zuhause im Lehnstuhl sitzen haben möchte, Pfeife rauchend. Von mir aus darf er dabei gerne wackeldackelmäßig den Kopf schütteln und „Aaaaaaaaaaaah!!!“ schreien, hin und wieder. Aber vielleicht erschreckt das die Kinder.
Und ja, den Titel haben wir uns ausgedacht, kichernd und am Ende eines langen Tages. Der Originaltitel ist „Hey Grandude“ und weil es um ein Kinderbuch geht, konnten wir das leider nicht einfach so stehen lassen. Und so haben wir einen großen Teil unserer „Arbeitszeit“ damit zugebracht, eine opamäßige und hoffentlich nicht zu alberne Beatlesreferenz für den Titel zu finden. Ganz nah dran war „Sergeant Oppa,“ aber das fanden hauptsächlich wir lustig.
Die Krawaffels wiederum sind ein häufig gebrauchtes Lieblinsgwort aus dem Hause Holofernes, auch gerne als Verb eingesetzt, als „krawaffeln“ oder „herumkrawaffeln.“ Den Leuten vom Überreuter Verlag hat das Krawaffeln so gut gefallen, dass sie es gerne im Titel haben wollten, was mein Herz natürlich erfreut. Das es dieses Wort in Wirklichkeit schon gibt, und zwar im Österreichischen, hat wiederum meine Mutter herausgefunden. Da sind wohl meine blass verästelten österreichischen Wurzeln väterlicherseits durchgeschlagen.
Meine eigenen, krawaffeligen Kindheitserinnerungen sind allesamt eingerahmt von Bücherregalen, und werden rhythmisch begleitet von Schreibmaschinenklappern aus dem mütterlichen Arbeitszimmer. Es sollte Einschlaf -Apps mir mit Schreibmaschinenrackatacktack geben! Gibt es wahrscheinlich, ich muss noch mal suchen.
An Samstagen durfte ich meine Mutter in die Stadtbibliothek begleiten, zu ausgiebigen Rechercheausflügen – durch das Gewusel des Freiburger Marktplatzes, durch Tulpen und Wurststände, in die kühle, kluge Stille der Bibliothek. Während meine Mutter sich durch Karteikarten blätterte, oder was auch immer man damals tun musste, um an Wissen zu kommen, rannte ich durch die Gänge und stapelte selig Bücher auf meinen Affenärmchen. Am Ende dieser Exkursionen traten wir blinzelnd zurück ins Tageslicht. Ich schwer beladen mit Beschäftigungsmaterial für die nächsten zwei Wochen, meine Mutter wieder ein bisschen schlauer – bezüglich des Fortpflanzungsverhaltens aussterbender Tropenvögel vielleicht, oder der genauen Funktionsweise einer Arkebuse.
Als Teenager durfte ich dann, als Nebenjob, einzelne Kapitel für meine Mutter roh übersetzen, so wie ein Metzgerkind vielleicht mit vierzehn das erste Mal Würste stopfen darf. Dass es keine Würste waren, war gut für mein Englisch, und es hat Büchern für mich von Anfang an eine zweite, tiefere Ebene gegeben – ein Bewusstsein für den Sprachfluss, die Besonderheiten, und vor Allem die Absicht einer Autorin. Dieses Bewusstsein hat auf der einen Seite meine Liebe zu Büchern vertieft, es hat aber auch eine sonderbare Leserin aus mir gemacht – eine, die beim Lesen die Autorin kaum ausblenden kann.
Und wenn ich ein fremdsprachiges Buch auf Deutsch lese, dann ist es die Übersetzerin, die ich nicht ausblenden kann. Auf jeder Seite ist mir bewusst, dass ich zwei Stimmen lausche, und dass die lautere, besser Hörbare, die ist, die als Zweites dazu kam. Was absurderweise zur Folge hat, dass ich, die Übersetzerinnentochter, Bücher lieber in der Originalsprache lese, wenn ich irgendwie kann, und Übersetzungen nur mit ausdrücklicher mütterlicher Empfehlung.
Was ich noch gelernt habe, vor allem durch das Mäuschenspielen bei Übersetzer –Stammtischen: Übersetzer zu sein, ist ein wunderbarer Beruf, abgesehen davon, dass er unsäglich und unnachvollziehbar schlecht bezahlt ist. Aber wenn man nicht viel (lese: kein) Geld zum Leben braucht, oder geerbt hat: Übersetzer sind die beste Bezugsgruppe, die beste Reisegruppe, die besten Tischnachbarn, die man sich vorstellen kann. Intellektuelle Riesen mit kleinen Egos, sprachverliebt und virtuos und dabei fast immer unproportional bescheiden. Hoch spezialisiert und gleichzeitig weit offen und an wirklich allem interessiert – außer vielleicht, siehe oben, an Geld, und auch das erhöht ja relativ zuverlässig die Dichte an netten, interessanten Leuten.
Ich freue mich, dass ich auf diese Art und Weise mal wieder Mäuschen spielen durfte, und dass ich beim nächsten Übersetzerstammtisch so tun kann, als gehörte ich dazu. Die mutter –töcherliche Freizeitgestaltung ist voll aufgegangen, wir hatten sehr viel Spaß mit dieser (und psssst, einer weiteren**) Übersetzung.
Ich werde wohl in näherer Zukunft nicht den Beruf wechseln, auch wenn es Momente gibt, in denen das sehr attraktiv erscheint. Wahrscheinlich mache ich erstmal wieder den Sack zu, was das Übersetzen angeht, außer vielleicht für absolute Volltreffer –Anfragen wie diese.
Aber wer weiß, vielleicht mache ich ja langsam mal Ernst mit meinen übersetzten Lieblingssongs. Ich muss mal im Schrank gucken, ich glaube, da haben sich ein paar angesammelt. Vielleicht müsste man die mal aufnehmen.
*„Wo steckst du, Bernadette“ von Maria Semple ist großartig. Lustig, einzigartig, seltsam und wahr. Unbedingte Leseempfehlung. Ich hab´s aus Versehen auf Englisch gelesen, weil ich nicht mitgekriegt hatte, dass meine Mutter die Übersetzung gemacht hat. Man kann aber auch gut beides lesen, hintereinander weg.
** Wir haben ein zweites, sehr schönes Kinderbuch übersetzt, das allerdings später erscheint und damit noch nicht ganz so spruchreif ist: „The Giving Tree“ von Shel Silverstein, ein Genreklassiker und in Amerika ungefähr so allgegenwärtig wie hierzulande die Raupe Nimmersatt. Auch über diesen Auftrag habe ich mich sehr gefreut, denn Shel Silverstein ist, wie die Besten unter den Kinderbuchautoren, sehr eigen und poetisch und ein bisschen fies– und außerdem ein wunderbarer Songwriter, dessen „Ballad of Lucy Jordan,“ im Original gesungen von Marianne Faithful, weit oben auf meiner Songübersetzungsliste steht.