Übe meinen Song: über das Üben, an sich, und warum nicht (Sing meinen Song 4)
Meine Vorproduktionen aus Hannover und Mannheim nehme ich zuhause mit in den Gesangsunterricht. Wochenlang übe ich, zweimal pro Woche, zwei Stunden lang, mit meiner fantastischen Gesangslehrerin Bobo Hebold . Bobo ist ihreszeichens „Bobo in White Wooden Houses“ und eine der wenigen Coachinnen, die zum Lehren genau so berufen sind, wie zum Selbersingen. Eine Lehrerin, die unglaubliche Sachen von mir will („Stell dir dein Diaphragma als Trapez vor! ), die mir in den Chakren rumfummelt, die mich regelmäßig von innen nach außen krempelt und damit zuverlässig in jeder Stunde um Meilen nach vorne bringt.
Völlig ohne Not entscheide ich früh, bei fast allen Songs Gitarre oder Ukulele spielen zu wollen, eine Verschärfung des Schwierigkeitsgrades, die ich spätestens eine Woche vor Showbeginn jammernd bereue. Ach so, ja, und umschreiben oder übersetzen könnte man das Eine oder Andere auch… verdammt.
Woche um Woche kämpfe, hadere, verzweifle ich mit der unerschütterlichen Bobo an meiner Seite, wir bauen Mikrofone und Verstärker auf, üben Mikrofonarbeit, nehmen die Gitarre dazu, legen Merkzettel weg, singen Quatsch und bewegen uns im Krebsgang hin zu so etwas wie präsentablen Versionen.
Das Üben und ich
Zu meiner Schande muss ich gestehen: so viel und so hingebungsvoll habe ich seit Jahren nicht geübt. Ich und das Üben, wir haben eine sehr spezielle Beziehung. Ich übe generell anfallsartig, und nur, wenn ich muss. Damit bin ich nur deshalb gut durchgekommen, weil ich ein schlaues Äffchen bin und während dieser Anfälle meistens große Sprünge nach vorne mache.
Und so sprinte ich, unzuverlässig, kurzatmig, unkonstant und freudig über die Jahre in Richtung „Musikerin“. Slumming it since 2002! Und da wo andere Musiker tägliche Quality Time mit ihrem Instrument auf dem Sofa verbringen und liebevoll seinen Hals streicheln, mache ich das… nicht. Und schreibe statt dessen, zum Beispiel, einen Blog. Schreiben, das ist wahrscheinlich das Einzige, was ich konstant übe, wenn ich so drüber nachdenke.
Über die Jahre hatte ich immer wieder Zweifel, ob dieser Mangel an Dringlichkeit mich als Musikerin disqualifiziert. In meinem Kopf führe ich immer wieder imaginäre Dialoge mit der (von Amanda Palmer so wunderbar benannten) „Hochstaplerpolizei:“ „Wenn es mich nicht unwiderstehlich an mein Instrument zieht, immer, jeden Tag, bin ich dann überhaupt eine echte Musikerin“?
Ich habe immer mit Musikern gearbeitet, die verliebt sind in einzelne Töne, und in die Blasen an ihren Händen. Ich war immer nur in die Musik verliebt, und habe immer genau so viel geübt, wie ich musste, um meine Ideen umzusetzen. So war es, als ich mit zwölf Jahren Peter Burschs Gitarrenschule durchgeackert habe, nur um sie dann beiseite zu pfeffern und drei Jahre lang – unbehelligt vom Ehrgeiz, „Purple Haze“ spielen zu können – Straßenmusik zu machen. Um dann wiederum erst drei Jahre später das erste mal Gitarrenunterricht zu nehmen. Etwa zehn Stunden, insgesamt.
Das mit dem Üben gilt für´s Gitarre spielen, aber auch für´s Singen. Ich meine: ich singe, die ganze Zeit, den ganzen Tag, immer. Und in meiner Freizeit amüsiere ich mich mit Ed Sheeran –Youtube –Karaoke –Videos. Aber wirklich Unterricht nehmen, zum Beispiel, das tue ich traditionell zu jedem Album genau neun Mal. Manchmal acht.
Das mit den Sprints, das funktioniert hier so: zu jedem Album schreibe ich mir Songs, die ich nicht singen kann. Das hat damit zu tun, dass ich generell nicht für meine eigene Stimme schreibe, mit mir und meinen Begrenzungen im Kopf, sondern gerne mal denke, ich sei James Taylor, oder, schlimmer, Cyndi Lauper. Und so gibt es bei jedem neuen Album den erschreckenden Moment, wenn ich eine neuerdachte Melodie das erste Mal laut raussinge und denke: whoooops. Na gut, dann übe ich eben. Und dann… übe ich eben.
Und es ist nicht so, dass ich das Üben nicht nötiger hätte! Ich war nie das, was man ein „natural“ nennt. Ich will singen, seit ich mit acht Jahren die Plattensammlung meiner Mutter entdeckt habe. Von Anfang an habe ich das Singen geliebt, das Gefühl der Töne in meinem Körper, das Schwingen der Gefühle von innen nach außen, außen nach innen, das unnachahmliche High schallernder Töne unter dem Schädel – ich liebe, liebe, liebe es zu singen.
Aber ich musste immer um meine Stimme kämpfen. Seit meiner Kindheit gucke ich sehnsuchtsvoll auf die Leute mit den mühelosen, weichen, schmiegsamen, flexiblen Stimmen, die alles sofort singen können, was ihnen unter die Nase kommt. Was für eine körperliche Freude das sein muss! Meine Stimme war von Anfang an ein zartes Pflänzchen, als Kind war ich immer krank, und auch jetzt noch bin ich geplagt von Allergien und Asthma und etwas, dass der erste Stimmarzt als Hyperfunktionelle Dysphonie diagnostizierte: die Stimmbänder machen zu viel und dadurch kommt immer zu viel Luft durch. Klingt sexy, macht aber sehr anfällig für Heiserkeit.
Und so musste ich lernen, mir meine Stimme geduldig und beharrlich und sanft zur Freundin zu machen. Und ich bin froh darüber! Inzwischen weiß ich: eine Beschränkung ist für Künstler ein Geschenk. Die Mühelosigkeit, das Grenzenlose, hat fast immer einen Preis: Orientierungslosigkeit, Wahllosigkeit, Ungenauigkeit. Künstler, die alles können, haben häufig die größten Schwierigkeiten, herauszufinden, was denn eigentlich genau IHRES ist. Und oft verlaufen sie sich zwischen all der Schönheit, die ihnen geschenkt wurde, verlaufen sich zu Gala -Bands und weinen Abends, zur Melodie von „It´s raining men,“ auf die halbfertigen Demos in der Schublade.
Nein, ich liebe meine empfindsame, widerborstige Stimme, die mich mit nichts durchkommen lässt, die mir alles spiegelt, und die mir alles, was falsch ist, bockig verwehrt. Wenn ich etwas singen soll, was für mich nicht stimmt, dann wird mir schwindelig, wenn ich mich nicht unterstützt fühle, fehlt mir die Luft, wenn ich zu viel Druck habe, verdrückt sich meine Stimme. Ja, manchmal wünschte ich mir ein unzimperlicheres, nachsichtigeres Instrument, aber am Ende des Tages haben wir es gut miteinander, meine Stimme und ich.
Und ich weiß, dass ich, durch eben diese Beschränkungen, einen Stil entwickelt habe, der nicht leicht zu kopieren ist, ich weiß, dass ich Sachen auf den Punkt gebracht habe, die mir so schnell keiner nachmacht, ich weiß, dass das gut funktioniert, mit dem Schwingen, nach innen und außen. Ich weiß, dass ich Leute, denen so was gefällt, da anfassen kann, wo es wehtut. Und dass ich, O –Ton meines Rapperfreundes Maeckes „beinahe eine Rapperin bin, so vom Flow.“ Und inzwischen, nach sechs Alben und damit verbundenen Übe -Sprints, bin ich sogar technisch beinahe so etwas wie eine richtig gute Sängerin. Aber eben keine, die sich sechs Songs von anderen Künstlern einfach so unter den Nagel reißt. Wenn ich mir sechs fremde Songs zu eigen machen soll, dann muss ich sie mir wirklich zu eigen machen, dann muss ich kreativ werden. Und über einige Schatten springen. Und, äh, üben.