Mein Silvestervoodoo
Silvester ist für mich das beste, schönste, tiefste Fest unter den jährlichen Standardfesten. (Disclaimer: ich verbringe Silvester aber auch kaum jemals in Berlin. Don´t try this at home.)
Ostern schockt mich nicht, Nikolaus macht Zahnschmerzen, den Advent vergesse ich, um weihnachtliche Besinnlichkeit muss ich mit viel Lichterkettengedöns kämpfen. Aber Silvester ist das Fest, dass ich am Meisten „fühle,“ wie der Amerikaner so gerne sagt, der fühlige.
Das war beileibe nicht immer so. Als Teenager, als ich noch versucht habe, Silvester zu feiern wie alle Anderen – saufen, knallen, frieren – hat sich mir der tiefere Sinn der Festivitäten nicht ganz so zwingend erschlossen. Ich erinnere mich hauptsächlich, wie ich in den überfrorenen Straßen von Freiburg von Bein zu Bein hüpfe und meinen deutlich zu kontaktfreudigen/redseligen Freund flehend am Arm ziehe. Zur nächsten Party, die auch scheiße ist, aber wenigstens warm.
Irgendwann, vor etwa zehn Jahren, habe ich dann zusammen mit Pola, meinem wunderbar kontaktmuffeligen/ schweigefreudigen Mann, ein eigenes Silvesterritual entwickelt. Eines, dass sich tatsächlich heilig und wichtig und richtig anfühlt, nach Voodoo und frohem Geknalle. Seitdem ist Silvester für uns das besinnliche Fest, und wir besinnen uns wie echte Profis:
Zu Silvester schauen wir zurück und nach vorne, with a vengeance. Dazu schreiben wir – in vorgewärmte Notizbücher, stundenlang, bevorzugt in Waldnähe und mit beständigem Heißgetränknachschub. Wir schreiben auf, wofür wir dem vergehenden Jahr dankbar sind. Und was wir gelernt haben. Und zwar gründlich, weit hinaus über „Mann: check. Kinder: check. Gesundheit: check“.
Was waren die Volltreffer des vergangenen Jahres, was die unerwarteten Glücksfälle? Was waren die Überraschungen, die Geschenke? Was habe ICH mir geschenkt? Womit hab ich mir NICHTS geschenkt? Was habe ich gelernt? Was habe ich an Erfreulichem in die Welt gesetzt? Was habe ich kennengelernt, was hat mich gefunden?
Und: was waren die Schwierigkeiten? Was tut noch weh? Was will losgelassen und verziehen und weichgeliebt werden? Was muss mitkommen ins neue Jahr und noch ein paar sanfte Runden drehen?
(Hinweis: wenn ihr das ausprobiert und euch dabei nicht das Herz übergeht: gebt euch mehr (oder, je nach Typ: weniger) Mühe. Im Zweifel alberne Kreise um Sachen ziehen, Ausrufezeichen großzügig verstreuen, krakelige Tiere und Pflanzen an die Ränder malen.)
So aufgewärmt nähern wir uns den Wünschen für das nächste Jahr. Und mit Wünschen meine ich: Wünsche, nicht Vorsätze. BIG, BOLD, BADASS –Wünsche. Wünsche, die uns euphorisch machen und von denen wir ahnen, dass wir ihre Erfüllung begünstigen können.
Am Ende, wenn sich irgendwie die Gelegenheit bietet: das Aufgeschriebene verbrennen oder in den Fluss oder den See oder das Meer werfen, aus dem Herzen hinterherwinken. Fertig.
Und ich kann bezeugen, dass dieser kleine Silvestervoodoo funktioniert. Erschreckend viele dieser Wünsche haben sich erfüllt. Nicht alle sofort, manche im Jahr darauf – und die, die sich nicht erfüllt haben, haben meistens auch nichts getaugt. Von daher: in Wirklichkeit natürlich bitte gerne zuhause ausprobieren, aber: be careful what you wish for.
Alles Liebe und ein magisches neues Jahr,
Judith
P.S: Falls ihr beim Aufschreiben Lust bekommt, in Zukunft mehr Tagebuch zu schreiben (absolute Empfehlung), dann guckt euch doch noch mal an, in welche Notizbücher ICH am Liebsten schreibe. Ich hab keinen Deal mit denen, oder so, ich finde die nur so wunderschön…