Hello? Can you hear me? Errrm, no, not really…
Ich soll über Adele schreiben? Well, Hello! Natürlich möchte ich über Adele schreiben. Wenn keiner zuhause ist, taumele ich „Hello –ouuuu! How aaah juuu“ krakeelend durch´s Wohnzimmer. Seit Wochen streite ich mit pop-skeptischen Twitterfreunden darüber, wer zu Adeles neuer Schmonzballade die meisten Tränen vergossen hat.
Ich liebe Adele aus ähnlichen Gründen wie der Rest der Welt. Für ihre tollen Songs, die naturgewaltige Stimme, die sich so elegant dem Sportgesang enthält. Für die Sturheit, mit der sie immer dann ausbüchst, wenn andere Leute die Cash –In Phase ihrer Karriere einleuten würden. Dafür, dass sie ab und zu was isst. Für das trockene Gelächter, das in so hübschem Kontrast steht zu den tränennassen Songs. Dafür, wie sie zwischen Diva und Kumpeline hin und her morpht, ohne mit der Strasswimper zu zucken. Und nicht zuletzt für die Selbstauskunft, ihr Modegeschmack sei der einer verhinderten Dragqueen.
Zusammenfassend: dafür, dass sie – im Gegensatz zu nicht minder begabten Kolleginnen wie Beyoncé oder Taylor Swift – jenes amerikanische Karrieremodel verweigert, das Pop -Erfolg mit harter physischer Arbeit verknüpft. Wie dankbar nehmen wir das an, in Zeiten von Casting-Bootcamps, die darauf bestehen, dass man für den großen Durchbruch vor allem eins benötigt: einen eisernen Willen und stahlharte Bauchmuskeln. Adele ist der Popstar für alle die ahnen, dass die Entscheidung „Künstlerlaufbahn vs Karriere bei den Marines“ vielleicht doch keine rein zufällige ist.
Ein paar Mal in meinem Leben habe ich kleine Adeles kennengelernt. Menschen, die mit einem Ausnahmetalent gesegnet sind, das schon in früher Jugend aus ihnen herausstrahlt. Sie alle hatten eins gemeinsam: eine einzigartige Mischung aus Bescheidenheit und schamloser, übertrömender Freude an den eigenen Fähigkeiten. Ein Verständnis dafür, dass sie im engeren Sinne „gifted“ sind, also beschenkt, und nichts weiter zu tun haben, als dieses Geschenk weiter zu verteilen. Damit weckt Adele in mir beinahe so etwas wie einen Beschützerinstinkt. Und vielleicht macht das einen Teil ihres Erfolgs aus – dass wir die junge Frau Adkins und ihr Geschenk für schützenswert halten, wie ein gefährdetes Bioreservat.
Ich bin also entzückt, als ich gefragt werde, ob ich über Adele schreiben will. „Wann“ frage ich „kann ich denn eigentlich das Album hören?“ Nicht kann ich es hören, verkündet mir Tage später zerknirscht die Zeit -Redaktion, mit nächtens nachgegrauten Haaren, die Handgelenke wund vom Versuch, durch Anketten vor der Plattenfirma etwas zu erreichen. Keine Chance. Das Album gibt es in einem hochgeheimen Stream zu hören, einen Tag, bevor dieser Artikel in den Satz geht.
Angesichts des weltweiten Wertschätzungs – und Wertschöpfungsdebakels im Pop ist diese Praxis keine Überraschung, ist Sicherheitsparanoia doch die naheliegende Reaktion auf neue Stressoren. Aber so eine Hochsicherheitsveröffentlichung hat Nachteile – ganz besonders für eine Künstlerin, die versucht, eine Art Anti –Celebrity zu verkörpern, mit beinahe so etwas wie Privatheit und dem expliziten Wunsch, über ihre Musik wahrgenommen zu werden. Adele, die offenherzig über ihre Angst spricht, von der „Fame Machine“ zermalmt zu werden, stellt so genau dieser Dampfwalze die Weichen.
Denn schreiben wollen Alle über Adele, sobald sie ein Lebenszeichen von sich gibt. Und die Tatsache, dass sie der Welt 2011 in einem eleganten Schwung den Rücken zukehrte, tut ihr übriges: eine Comeback Story ist –neben Drogentod und Bandzerwürfnis – das ultimative Narrativ im Popjounalismus. So finde ich im Internet, keine drei Wochen nach dem ersten „Hello,“ Seite um Seite neue Artikel. Sie behelfen sich notgedrungen mit Spekulation und dem Versuch, aus den kargen Informationen der vergangenen Jahre verwertbare Thesen zu basteln. Die Ergebnisse sind in der Mehrheit erstaunlich schlicht.
„Adele geht´s zu gut“. Diese, die populärste der neuen Thesen, basiert auf einer erstaunlichen Verkürzung: Adele ist nun in einer glücklichen Beziehung und hat ein Kind – kann daher keine traurigen Songs mehr schreiben und muss ergo ihre Fans enttäuschen. An dieser Annahme ist natürlich ordentlich was faul (auch im Sinne von lazy): Erstens: wir wissen nicht, ob Adele glücklich ist, oder es in den letzten Jahren durchgängig war. Die Bereitschaft, die Mutterschaft einer arbeitenden Frau automatisch mit kuhäugiger Sanftmut und fortdauernder Seligkeit gleich zu setzen, ist für das Jahr 2015 schon erstaunlich. Adele könnte eine Schwangerschaftdepression durchlitten, mit freier Liebe in Swingerclubs experimentiert oder aber tatsächlich beständig Socken strickend auf dem Sofa gesessen haben – die Wahrheit ist: dass die Frau sich fortgepflanzt hat, verrät uns nichts (0,0 %) über den Inhalt der Musik, die sie in dieser Zeit gemacht hat.
Eine ausnahmebegabte Künstlerin wie Adele, die Songs schreibt, seit sie 14 Jahre alt ist, hat schätzungsweise Zugriff auf das ganze Universum. Und die Art, wie ihre Songs entstehen, hat wahrscheinlich mehr mit Voodoo zu tun als mit Windeln. Die vielleicht erschütterndste Annahme ist natürlich die, dass die Fans eine glückliche Adele nicht ertragen würden. Vielleicht, nur vielleicht, haben wir ja eine breitere emotionalle Palette zur Verfügung als zum Beispiel ein Hundewelpe. (Spoiler Alert: ich habe das Album inzwischen gehört, und es ist traurig genug).
Die zweitpopulärste These: „Adele kann nicht kooperieren“. Seitenweise werden Adeles gescheiterte Co –Writing –Versuche abgehandelt. Wobei auch jene Sessions unter „gescheitert“ laufen, bei denen „nur“ Songs für das jeweilige, minderwertige Gegenüber (Sia, Beyoncé) abgefallen sind. Da ist die Rede von Treffen mit Hochkarätern (Phil Collins), bei denen sie sich nie zurückgemeldet habe. Von einem Zwist mit Damon Albarn und einer kalten Schulter gegenüber Beyoncé, einer der wenigen Kontestantinnen für das Siegertreppchen im internationalen Stabhochgesang. Und wieder: weder wir, noch die jeweiligen Autoren können wissen, was da los war. Und ob überhaupt.
Diese Fantastereien addieren sich zu einem unschönen Bild von Stutenbissigkeit und Bossyness. Dass Adele am Ende sehr erfolgreiche Kollaborationen eingegangen ist, nur eben mit weniger prominenten Schreibern, fällt dabei leise raschelnd unter den Tisch. Damon Albarns Verdikt, die Songs, die er gehört habe, seien „middle of the road,“ verführt derweil zur musikkritischen Ejaculatio Präcox – und das Album, das noch keiner gehört hat, hat einen ersten offiziellen Makel weg: middle of the road? Also langweilig? Warum? Spielt sie auf Sicherheit? Hat sie sich etwa fortgepflanzt?
Nur wenige Artikel erwähnen, dass Adele freudig dazu steht, seit ihrer Kindheit inbrünstig die Charts zu verfolgen, und die Spice Girls als eine ihrer wichtigsten Inspirationsquellen zitiert.
These drei: „Adele ist eine Eremitin, die am Pop zugrunde gehen wird“. So zurückgezogen, so protektiv bezüglich ihrer Familie, so verletzlich! Guck, auf dem Rolling Stone trägt sie noch nicht mal Make Up! Nur Photoshop! Damit ist die große, tragische Amy Winehouse–Erzählung vorbereitet. So richtig ergiebig ist dieses Modell allerdings nicht bei Jemandem, der so offensichtlich im Fahrersitz seines Lebens erscheint wie Adele.
Und ja: wahrscheinlich ist Adele nicht für den ganz großen Ruhm geschaffen. Überraschung: dafür ist niemand geschaffen! Der Mainstreampop ist eine seelenaushöhlende Höllenmaschine. Manche kommen irgendwie heil auf der anderen Seite wieder raus. Hoffen wir, dass Adele eine von denen ist.
Inzwischen ist das Album draußen, und wir stellen fest: Ein wichtiges Zeitfenster hat sich über der ganzen Vorab-Trommelei längst geschlossen. Das gilt nicht nur, aber eben auch für Adele: Länger als drei Wochen wird kaum mehr jungfräulich, mit echtem Nachdenken über ein neues Thema (Film, Platte, Krisenherd) gesprochen. Danach werden die wenigen Interviews und substanziellen Texte in ihre Einzelteile zerlegt und als Agenturmeldungen wiedergekäut bis zum Sanktnimmerleinstag, unterlegt mit verschreckt –rotäugigen Red Carpet -Fotos. Die Schlaglichter zu Adeles Platte sind also gesetzt, und sie haben – Überraschung! – absolut nichts mit der neuen Musik zu tun.
Ich habe die Platte inzwischen dreimal gehört und werde den Teufel tun, meinen ersten Eindruck als fertige Meinung auszugeben. Nur so viel: ich bin am Ende wohl erstaunlich gründlich auf das Gedöns reingefallen – und hatte mich innerlich auf Autotune –Exzesse und 90er Jahre Technobeats eingestellt. Entwarnung: wenn dieses Album sich an aktuellem Chartgeschehen orientiert, dann an den „alternativen“ Modellen wie Florence and the Machine, Lorde, Feist oder eben Sia – denke: euphorische Tribaldrums, hallige Chöre und erfreulich überkandidelte Melodiebögen. Allerdings, und hier tropft ein Wehrmutstropfen: ohne sich an der textlichen Bandbreite und Tiefe dieser – deutlich schrägeren – Vorbilder zu versuchen.
Die Themen auf 25 sind, wenn auch schön, doch eher schmal gefasst, es geht schwerpunktmäßig um, na ja, Liebe halt, zu Männern, Kindern, Müttern. Und um das Älterwerden („Ju –huhu –gend! Wo bist du ge –blie –hie –been?“), in einer Dosierung, die der Autorin Rührungstränen in die Augen treibt – man möchte die 27Jährige dringlich an den Schultern packen und rufen: „Schatzi!!! Da kommt noch was nach!!!“
Über weite Strecken ist die Platte, bei allen modernen Anklängen, immer noch sehr „retro“ – nur findet sich kaum mehr was vom 60er Jahre Soul, der 19 und 21 so geprägt hat. Das neue Album macht einen Sprung von nicht vier, sondern zehn Jahren – 25 glänzt mit melancholisch schwingendem 70er Jahre Songwriting und pendelt nach drei ersten, „zeitgeistigeren“ Songs über weite Strecken zwischen Carole King, Carly Simon, Bette Midler – und, mehr als ein mal, Irene Cara in Fame (When we were, All I ask). Große, leicht angejazzte Melodiebögen, subtil groovende Klavier- oder Gitarrenbegleitung, Hooklines, die man auch gerne mal von James Taylor gesungen hören würde – alles in allem, bei den allermeisten Songs, immer noch sehr handgemacht und alles andere als überproduziert. Nur wenn man zu den Powerballaden im Kopf ein paar exzessive Drum –Fills addiert, Zeitlupe von spritzendem Wasser auf Trommeln bitte mitdenken, dann landet man sogar erstaunlich weit in den 80er Jahren, mit eklektischen Anklängen von Michael Bolton bis Kate Bush.
Alles in Allem hat Adele also meinen perfekten Karaoke –Abend in Albumform gebracht. Und, wahrscheinlich, ihren eigenen. Ich bin auf jeden Fall sehr einverstanden und wage zu prognostizieren, dass das nicht nur mir so gehen wird – sondern so ziemlich Jedem, vom Joe Cocker –Fan bis zum Strickmützen tragenden Indie –Folkie.
Hoffen wir also, dass Adele die vergangenen Wochen doch noch überschreiben kann – vorzugsweise mit Live Konzerten, bei denen sie uns die neuen Songs direkt in die Herzen singen kann, ohne Übersetzungsfehler. Uns erneut verzücken, mit ihrer ernsten Soulstimme und den gutgelaunten Stand Up – Einlagen. Mögen die neuen Songs alles andere platt machen. Aber leichter wäre es sicher gewesen, die Musik von Anfang an mitreden zu lassen. Oder mitsingen.