Sleepless in Tórshavn (Die komplette Saga)
Teil 1: Teitur, Catherine, Johnathan und ich
Ich fliege auf die Färöer! Davon weiß ich selbst erst seit fünf Tagen, und so zottelt mir mein Gehirn ungläubig hinterher, als ich über das kleine Rollfeld zum winzigen Flachdach –Flughafengebäude laufe. Weder die schroffen, monochromen Hügel ringsherum, noch der dräuend bewölkte Katastrophenfilmhimmel scheinen mir dringend beim Realitätsabgleich helfen zu wollen.
Aber doch, ja, da hinter der Schranke steht strahlend mein frischgewonnener Freund Teitur. Dabei haben wir uns doch gerade vor zwei Wochen noch in Berlin gesehen – und dass er tatsächlich auf den Färöern lebt, war im Café in Keuzberg nicht mehr als eine skurille Anekdote gewesen.
Teitur und ich, wir kennen uns, seit Teitur herausgefunden hat, dass ich sein Lied „Catherine the Waitress“ bei meinen Konzerten singe. Auf deutsch, als „Jonathan, der Kellner.“ Teitur war nicht empört, glücklicherweise, sondern erfreut und intrigued. Und so trafen wir uns vor über einem Jahr zu einem ersten Kaffee – in einem Café, in dem absurdistisch- schicksalhaft sein „You´re the Ocean“ im Hintergrund lief, obwohl wir uns sicher waren, dass ihn niemand erkannt hatte.
Es war der Beginn einer wunderbaren Bromance, ausgedrückt zunächst in zeitgemäß frenetischem Hin- und Hergeschicke von Unterhaltungstipps. Vor zwei Wochen fielen dann überraschend zwei Tage aus Teiturs Tourkalender und verschafften ihm zwei „Offdays“ in Deutschland. Und so trafen wir uns in Berlin, zum Schreiben.
Die zwei kurzen Tage verbrachten wir bei zugezogenen Vorhängen in meiner Arbeitswohnung und schrieben vier Songs, allesamt auf Englisch – ohne zu überlegen, für wen die eigentlich sein sollen. Einen davon hatte ich halb fertig mitgbracht, mit englischem und deutschem Text in der Tasche, beide jedoch eindeutig aus Männerperspektive erzählt. Ich war beim Schreiben (mal wieder!) der der Illusion erlegen, ich sei James Taylor. Als Teitur am Ende das Demo einsingt, treibt es mir die Tränen in Augen. Teitur singt genau so, wie ich singen wollen würde, wäre ich ein Mann! Wahrscheinlich, weil auch er hin und wieder denkt, er sei James Taylor. Nur dass er deutlich besser damit durchkommt.
Zwei der anderen Lieder entstehen aus Ideen von Teitur, einer davon ist anfangs nicht mehr als eine vage Ahnung von einem Song (Vögel!?), der andere hat einen fast fertigen Text mit fast fertiger Melodie. Der Vierte ist ein gallopierend alberner Zwölf –Minuten -Blues (B-b-b- baaaad Chihuaha!!!) -geschrieben zwischen zwölf und zwei Uhr Nachts am zweiten Tag. Als Teitur abreist, versprechen wir uns, das ganz bald wieder zu machen und uns gegenseitig bis dahin fernmündlich mit Ideen zu beballern.
Und jetzt, keine zweieinhalb Wochen später, bin ich hier. Auf den Färöer Inseln. Teitur hatte gesagt: „Genau jetzt würde eigentlich gut passen. Oder September?“ Und weil es im September auf den Färöern immer dunkel ist, und jetzt gerade immer hell, habe ich kurzentschlossen ein Flugticket gekauft. Die Mittsommernacht, die hellste Nacht des Jahres, habe ich um nur einen Tag verpasst. Viereinhalb Stunden bin ich über Kopenhagen hierhergeflogen. Als ich ankomme, herrschen sommerliche Temperaturen zwischen 9 und 11 Grad.
Teil 2: Mittelerde! Mittelerde!
Die sanft geschwungene, beinahe unbefahrene Landstraße in Richtung Tórshavn führt vorbei an steilen, kaum gesicherten Klippen, über eine Insel ganz in Grün- und Grautönen, matt entsättigt und in unwirkliches, stumpfsilbriges Licht getaucht. Mittelerde! Mittelerde! schreit mein popkulturversautes Hirn in Endlosschleife, und ein, zwei Mal lässt mein Mund den Gedanken durch. Teitur lächelt milde, ich bin ganz offensichtlich nicht die Erste, die das sagt.
Das Meer liegt da wie Quecksilber und am Horizont verwischt es in den weißgrauen Himmel. Auf der gesamten Strecke hat man Blick auf mindestens zwei der anderen Färöer Inseln, schroffe, staubig grüne Hügel in bizarren Formationen, die überraschend and die fantastischen Felsennadeln vor der Küste Thailands erinnern.
Im Vorbeifahren zeigt Teitur auf ein Dorf auf der gegenüberliegenden, kleineren Insel und lacht: „Das da ist das traurigste Dorf der ganzen Faröer, sie haben sich aus Versehen auf der Schattenseite angesiedelt. Direkt rechts daneben gibt es manchmal so was wie Sonne, und links auch, aber genau da, wo ihr Dorf liegt, bleibt es immer dunkel.“
Wir fahren von der „Flughafeninsel“ rüber auf auf die eigentliche, große Hauptinsel, erklärt mir Teitur. Dort , auf Streymoy, wohnt Teitur mit seiner Freundin Ingilin, zusammen mit 22.450 der übrigen Färöer, oder Färinger, wie ich lerne. Es ist die Bewohnteste der achtzehn kleinen Inseln zwischen Island und Schottland. Gesamteinwohnerzahl aller Inseln zusammen: knapp 50.000. Zum Vergleich: in Kreuzberg leben 275.691.
Um nach Streymoy zu gelangen, durchqueren wir einen langen Tunnel. Erst nach einigen Minuten eröffnet mir Teitur, dass wir unter dem Meer hindurch fahren: „I thought it might freak you out.“ Ich bin nicht ausgefreakt. Um ehrlich zu sein, steigt in mir eine flüssige, stille Seeligkeit auf, die mich in den nächsten Tagen nicht mehr verlassen soll. So als würde das silberne Licht der Insel mir von innen das Gehirn auswaschen.
Stumm grinsend begrüße ich einzeln die unzähligen Schafe am Wegesrand. Aus meiner hektischen Last Minute – Recherche weiß ich, dass es auf den Färöern deutlich mehr Schafe gibt als Menschen – aber das hier ist beinahe lächerlich, und schlägt zum Beispiel das durchaus schafige Irland um Längen. Die Tiere sind schlicht und einfach überall, in zotteligen, braun –weißen Gruppen zwischen die Felsen und Hügel geworfen. Am liebsten aber stehen sie direkt am Rand der großen Straßen und blöken indigniert den wenigen Autos hinterher. Zäune gibt es keine. Teitur, der meine weißen Knöchel bemerkt, sagt, es gäbe eigentlich keine schafinduzierten Unfälle auf den Färöern. Neulich hätten sich zwei der Tiere auf´s Rollfeld des Flughafens verirrt, aber auch denen sei nichts passiert. Die Schafe hier sind Wikinger: kühn, aber reserviert – sie rennen nicht vor Autos, und auch nicht vor Flugzeuge. Sie haben Würde, und sogar die Lämmer verweigern sich dem weltweit populären Lämmchenschema. Mit ihrem zotteligen, langen Fell sehen aus wie Miniaturhammel, so wie die Puttchen in der sixtinischen Kapelle aussehen wie sorgenvolle Miniatur -Erwachsene.
Andere Tiere entdecke ich kaum, außer ein, zwei stämmigen Mittelerdepferden und den allgegenwärtigen, kreischenden schwarzen Seevögeln. Auch Menschen sehen wir auf unserer Fahrt erschütternd wenige, und noch weniger Autos. Die paar Häuschen, die vertreut in den Hügeln liegen, sind kleine, graublaue, schwarze und dunkelrote Lattenhütten, viele davon haben grasbewachsene Dächer (Mittelerde!). Und trotzdem wirkt nichts Menschengemachtes hier in irgendeiner Weise altmodisch oder urig. Die Färöer Baukultur scheinen eher aus der Zeit gefallen und in ihrer Schlichtheit beinahe futuristisch – halb Tolkien, halb Arne Jacobsen.
Ich werde in Tórshavn (englisches TH –horssshhhaunnnn,) wohnen, der „Hauptstadt“ der Insel– die Anführungsstriche scheinen dazu zu gehören, zumindest für Teitur. Als wir hineinfahren nach Tórshavn, verstehe ich warum: keine drei Minuten nach dem die ersten geballteren Holzhäuschen vorbeiziehen, haben wir den Hafen – und damit das Stadtzentrum – erreicht.
Teil 3: Daylight in your eyes
Der Hafen liegt ins selbe silbrige Halblicht getaucht wie der Rest der Insel, ungestört von all zu viel Neonzivilisation. Über wippenden Fischkuttern und Freizeitbooten dräut derselbe dramatische Himmel, mit dunkelgrauen Pinselstrichwolken, die aussehen, als hätte ein dreijähriger Thor beim Malen einen Wutanfall bekommen. Vielleicht, weil ihm sein Hafen zu klein war.
Zwei Minuten Fußweg entfernt, in einer Gasse direkt hinter dem Hafenbecken, liegt das kleine Häuschen, dass ich bewohnen werde. Ein Yogastudio mit drüber liegendem Apartment, die Besitzerin, eine Freundin von Teitur, ist verreist und überlässt mir ihre mit Yoga –Bliss aufgeladene kleine Bleibe. Die Holzböden und Wände sind nordisch weiß gestrichen, und von allen Seiten lächeln mir schwarzweiße, indische Rentner entgegen. Die kleine Wohnung ist spartanisch eingerichtet, in skandinavisch- indischem Chic, und strahlt eine Ruhe und Klarheit aus, die beinahe zu gut zu meinem silberlichtigen Geisteszustand passt.
An den Fenstern hängen durchsichtige, pinke und weiße Sari -Tücher, durch die hell das Tageslicht hereinfällt. Ich mache eine mentale Notiz: „Durchsichtig, hell, Tageslicht“, voll bewußt, dass es hier nachts nur drei Stunden dunkel wird. Beim Herausgehen zerknülle ich die eben gemachte Notiz nachlässig und setze mich ohne noch einmal darüber nachzudenken zu Teitur ins Auto. Jetzt, wo ich meine Koffer abgeladen habe, wollen wir zu ihm nach hause. – haben wir doch gerade kichernd beschlossen, dass wir selbstverständlich noch heute anfangen werden, zu schreiben.
Wieder geht es zwanzig Minuten über einsame Landstraßen entlang der Klippen und Hügel, das Licht das Selbe, wie Stunden zuvor, bei meiner Landung. Ich habe schon jetzt jegliches Zeitgefühl verloren, ein Blick auf die Uhr verrät mir, das früher Abend sein sollte.
Als ich Teiturs Häusschen sehe, gluckst die angestaute Seeligkeit das erste Mal über. Es ist eines der winzigen Arne Tolkien -Häuser, und es steht mitten im schafigen Nichts, und nach etwa zweihundert grünen Metern fällt der Blick über die Klippen ins Meer. Und um meine Beine springt ein Hund, der sich offensichtlich freut, mich wiederzusehen, obwohl wir uns noch nie getroffen haben. Er heißt Dexter, aber nicht nach dem Serienkiller.
Drinnen warten eine hübsche kleine Küche und ein Wohnzimmer mit Couch und Klavier. Von dort schauen zwei große Fenster auf´s Meer hinaus – jedes ein perfekter Rahmen für eine der zwei gegenüberliegenden Inseln. Kein Wunder, dass Teitur so viele tolle Songs schreibt, denke ich. Ich würde nie aus dem Haus gehen. Ein prophetischer Gedanke, wie sich heraustellen wird. Anstatt uns einen Kaffee zu machen, beschließen wir, den kalten Kaffee vom Morgen zu trinken, und machen uns an die Arbeit.
Fünf Stunden später und mit einem beinahe fertigen neuen Song unter dem Gürtel –diesmal auf deutsch – fährt Teitur mich durch die taghelle Nacht nach Hause. Grinsend wanke ich in mein Haus, ziehe die pinken Tücher vor das Fenster, lege mich in mein Bett und schlafe. Nicht.
Teil 4: Take this Waltz
Ich bin jetzt seit vier Tagen hier und ich mein Gehirn summt in einer Mischung aus Schlaflosigkeit und dieser hell lichten Energie, die ich nur den nachtlosen Nächten zuschreiben kann – und der Musik. Bis jetzt haben wir jeden Tag einen Song geschrieben, zwei auf deutsch – beide ziemlich eindeutig für mich – und zwei auf Englisch, für Teitur oder, ähm, Lana del Rey.
Jeden freundschaftlichen Versuch, uns zu touristischen Unternehmungen zu bewegen, wischen wir mit fahrigen Händen beiseite. Ein einziges Mal wären wir beinahe mit Teiturs Vater auf einen Berg gestiegen, aber dann hat es glücklicherweise geregnet. Und ich, leidenschaftliche Nichtsnutzerei –Advokatin, bin im siebten Himmel. Was für ein Glück, einen Freakfreund zu finden, der genau so anfallsartig und eruptiv arbeitet, wie ich. Denn das gehört, zumindest bei mir, zur professionellen Nichtsnutzerei dazu – zu arbeiten wie bescheuert, wenn die Energie dazu da ist, und wenn nicht, dann halt nicht. Jetzt gerade ist sie da, die Energie – nächste Woche werde ich wahrscheinlich vor mich hin stierend auf dem Sofa verbringen.
Und so werfen wir uns mit manischem Elan in jeden der zwölf Stunden –Arbeitstage, und sind im Übrigen dankbar, dass Teiturs Freunde -und vor allem seine Freundin – offensichtlich an seinen Modus Operandi gewohnt sind und ihre Freizeitaktivitäten milde lächelnd an uns vorbei lavieren. Gelegentliches Gewissensziepen, dass ich doch eigentlich mehr von der Insel sehen müsste, wird durch einen Blick durch Teiturs Wohnzimmerfenster auf´s Meer hinaus vollständig verarztet. Wir brauchen nichts. Nur Mittags gehen wir jeden Tag eine Stunde mit dem dankbaren Hund spazieren und tun so, als würden wir dabei nicht über Songs nachdenken.
Die vier Songs der ersten vier Tage sind allesamt unfertige Ideen, die ich von zuhause mitgebracht habe. Am fünften Tag wagen wir uns wieder auf stürmischere Gewässer: wir schreiben einen komplett neuen Song, from scratch, angezettel von einem lose hingeworfenen Satz von Teitur. Für mich ist das die „Schwarzer Gürtel –Kategorie“ des gemeinsamen Songwritings, und eine Disziplin, auf die ich mich nur mit wenigen Leuten einlassen würde. Gemeinsam zu texten, das funktioniert nur, wenn man einander vollständig vertraut und keine Angst hat, sich zu entblößen. Gleichzeitig hat es nur dann wirklich Sinn, wenn man ein ähnliches Tempo hat im Denken und Reimen, und im Fällen von Entscheidungen, einen ähnlichen Rhythmus und ein gemeinsames Gefühl dafür, wo es lang gehen muss. Sonst tritt man sich auf die Füße wie ein Tanzpaar, bei dem einer Tango und einer Jitterbug tanzt.
Teitur und ich tanzen Walzer, dieser Tage. Das sage ich nicht nur so – wir haben offensichtlich gerade einen Hang zum Dreivierteltakt. Den aber gemeinsam, und deshalb drehen wir uns, ohne Fußgehedder, dem fünften fertigen Song entgegen.
Teil 5: Metal, ADHS und die Kunst des Blumensteckens
Am Abend des fünften Tages ist es so weit: die Außenwelt beschließt, dass unsere Schonfrist zuende sei – und bricht in Form einer gut gelaunten Wikingerhorde zu uns herein. Teitur hatte mich gewarnt, dass die Färinger sich nicht verabreden – sie klopfen einfach. Gerne auch mal mit zwei Kindern im Schlepptau, die sie ohne Vorwarnung für Stunden bei Freunden absetzen.
Diese Wikinger hier haben keine Kinder dabei, sie tragen große Mengen durchsichtiger Getränke unter den tättowierten Armen und scheinen sich auf einen langen Abend einzurichten. Seufzend fügen Teitur und ich uns unserem Schicksal. Und so ergießt sich ein fröhlicher Trupp mitteljunger Menschen in Teiturs Küche, und jeder Einzelne scheint sämtliche Klischees von skandinavischer Landjugend freudig zu umarmen. Gepflegte System of a Down –Bärte und Metalshirts an den Männern, Nasenringe, schwarzroter Lippenstift und sehr lange, sehr glatte Haare an den Frauen. Geschlechtsunabhängig: flächendeckende Tinte –Arbeiten auf mindestens beiden Armen. Am späteren Abend zeigt mir Thórun ihre tättowierte Achselhöhle.
Ein vergleichsweise zartes Wikingerlein packt herzhaft meine Hand und scheint sie nicht wieder loslassen zu wollen – dazu schaut er mir ungewöhnlich hartnäckig in die Augen und begrüßt mich euphorisch und eloquent: „How do you like it here on the Faroe Islands? I hope the island has been treating you well.“ Ich entspanne mich sofort und lasse mich zufrieden in einen der Küchenstühle sinken. Die Metalheads, die ich in meinem Leben bisher kennengelernt habe, waren die liebenswürdigsten, grundanständigsten und im besten Sinne harmlosesten Gesellen, die man sich vorstellen kann. Ironischerweise scheinen Metaller die letzten wirklichen Hippies unserer Zeit zu sein. Wer das nicht glaubt, dem empfehle ich, sich die Wacken –Doku zu Gemüte zu führen, oder, noch besser „The Story of Anvil“.
Und siehe: der zarte Wikinger (Bórdur!) verwickelt mich in ein enthusiastisches Gespräch über Hochsensibilität, die erstaunliche Wirksamkeit von großflächiger Berührung bei der Behandlung von sogenannten ADHS –Kindern – und die Kunst des Blumenbindens. Letzteres übrigens sein Beruf. Wärenddessen reibt er mit dem tättowierten Ärmchen in regelmäßigen Abständen über meinen vom langen Sitzen geschundenen Rücken. Wahrscheinlich hält er mich für ein ADHS Kind, ein Eindruck, der nach den fünf Tagen manischer Kunstarbeit nicht ganz so weit hergeholt sein mag. Ich bin entzückt und erwiedere furchtlos den intensiven Blick meines neuen Freundes. Bórdur hat ganz eindeutig einen an der Schacke, in der bestmöglichen Variante – just my kind of guy.
Derweil unterhält sich der Rest der Gruppe angeregt auf Färöisch, einer Sprache, die – Verzeihung – für meine Ohren ziemlich genau so klingt, wie die ausgedachte Sprache in der Kinderserie Pingu. Inmitten des Stimmengewirrs stehen immer wieder einzelne Mitglieder der Gruppe auf und legen im Nebenzimmer neue Musik auf – elegische, lyrische, wunderschöne Musik, die nur hier auf dieser Insel entstanden sein kann. Ist sie auch. Wie Teitur mir zuraunt, handelt es sich bei der Musik ausschließlich um Werke der respektiven Bands der jeweils aufgestandenen Gäste. Wie könnte es auch anders sein – jeder dieser wilden Kerle und Kerlinnen hier hat ein eigenes Bandprojekt, und allesamt bewegen sie sich zwischen Experimentalmusik, Sigur Ros und, na ja, Teitur. Selbstverständlich spielt jeder von ihnen nebenher in einer Grindcore Metalband.
Noch während ich versuche, gleichzeitig die schöne Musik zu würden und mir von Bórdur die Feinheiten des schlichten Lilienarragements erklären zu lassen, merke ich, dass die Fröhlichkeit in einere neue Phase eintritt. Teitur hat eine Gitarre auf dem Schoß und ohne Vorwarnung wirft sich die Gruppe in ein gemütsvolles, komplex mehrstimmiges Lied, von dem ich nur erraten kann, dass es sich um die Freuden des Fischfangs, der Jagd oder der Maidenbezirzung drehen muss. Teiturs Freund Ben mit dem stolzen Bart singt leise in einem wunderschönen, sonoren Bariton, der mir die Tränen in die Augen treibt –Teitur und Bórdur ordnen sich in eleganten Harmonien zurückhaltend drumherum. Ich bin so bewegt, dass ich übersprungshalber den Hund auf meinem Schoss küsse. Die Frauen auf der gegenüberliegendes Seite des Tisches verdrehen dezent die Augen, sie scheinen das Impromptu – Gesinge mehr als gewohnt zu sein und sind in etwa so gerührt, wie ich es wäre, würde ich Zeuge einer lallend vorgebrachten Sauf -Anekdote auf einer Freiburger Wohnungsparty.
Mein Freund Bórdur verabschiedet sich zwischendruch wortlos, durch´s Fenster sehen wir ihn in der strahlend hellen Nacht herum streifen, den Blick am Boden, ab und zu bückt er sich, er scheint nach irgendwas zu suchen. Vielleicht muss er sich aber auch übergeben. Als wir ihn beinahe vergessen haben, kehrt Bórdur mit freudigem Triumph im Blick zurück und stellt einen kunstvoll zusammengestellten, riesenhaften Strauß Wildblumen auf den Tisch. Dann lässt er sich in den Stuhl fallen und fällt wieder in die Normannengesänge mit ein.
Der Abend schreitet fort. Es wird Alkohol konsumiert, und das in nicht zu knappen Mengen. Mir schwimmt der Blick auch ohne Schnaps, die Arbeitswut der letzten Tage verträgt sich schlecht mit dem schläfrigen Hund auf dem Schoss und den schaukeligen Gesängen.
Als mich das Taxi vor meiner Wohnung in Tórshavn absetzt, ist es zwei Uhr morgens. Nokturne Partyleichen taumeln durch die taghellen, schmalen Gassen und ich habe kurz ungute Assoziationen zu The Walking Dead. Hundsmüde, selig und passivbetrunken stürze ich in mein Bett und schlafe. Irgendwie.
Teil 6: Don´t try this at home
Sieben Songs haben wir an den sieben Tagen eingetütet. Völlig verrückt. Wahrscheinlich sollte man dazu sagen: „Don´t try this at home. Everything depicted in this blog entry was performed by professional stuntmen.“
Ach, andererseits: Please, try this at home. Sieben Tage lang am Stück von elf bis elf zu schreiben, bei kaltem Kaffee und ohne nennenswerte Pausen? Definitiv keine Arbeitsweise, die man dauerhaft durchziehen sollte, und wahrscheinlich werde ich zuhause erst Mal drei Wochen lang mein Gehirn durchlüften müssen. Aber hat es Spaß gemacht? Spaß ist nicht das Wort. Ich schwebe, fliege, summe – und bringe Energie für mindestens die nächsten drei Platten mit nach hause.
Der Glücksforscher Mihaly Csikszentmihalyi ( – Echt! Ich kaufe ein Y! -) sagt, die Grundvorraussetzung für „Flow“ sei, genau das richtige Verhältnis zwischen dem Grad von Herausforderung und den eigenen Fähigkeiten zu treffen. Dazu müsste die Möglichkeit gegeben sein, sich vollkommen zu konzentrieren – und ein klar umrissenes Ziel braucht es obendrein. Man addiere, nicht unwesentlich, das Gefühl von Sinnhaftigkeit, und fertig ist das Fließgefühl, das entzückende. Check, check, check und check, Herr Csikszentmihalyi.
Im Übrigen passt, wie schon an anderer Stelle erwähnt, dieses eruptive Arbeiten erstaunlich gut zu meiner fernuniversitären Ausbildung zum professionellen Nichtsnutz. Die Ausbrüche gehören zu wirklich ernst gemeinter Nichtsnutzerei dazu – geht es doch darum, nicht gegen die eigenen Kräfte und Leidenschaften zu arbeiten, sondern mit ihnen. Und im Umkehrschluss auch nicht (dauerhaft) gegen Müdigkeit, Unwillen oder Flausen. Das ist natürlich ein Konzept von Arbeit, das auf den ersten Blick schlecht zu unserem Bild von bezahlter Erwerbstätigkeit passt – in Wirklichkeit aber besser passen könnte, als wir glauben. Ich schwöre.
Aber ach, ich verliere mich. Bei Neugierde bitte meinen Ukulele –schwingenden Lieblingsphilosophen Tom Hodgkinson lesen (How to be Idle/ Die Kunst des Müßiggangs), zum Beispiel).
Ich auf jeden Fall werde ich weiter die Extreme ausloten von Tun und Nichttun. Zuhause kommt dann auf jeden Fall erstmal: Nicht tun. Begleitet von professionellem Nasebohren.
Am achten Tage übrigens gehen wir zu allem Überfluß noch ins Studio und nehmen für sechs dieser Songs, die wir bisher nur auf dem Computer skizziert haben, ernst zu nehmende Demos auf. Um sie so schön, wie sie in unserem Kopf klingen, hörbar zu machen, und sei es nur für uns selbst.
Sechs Songs an einem Tag aufzunehmen, das funktioniert natürlich nur, weil alle Leute, mit denen Teitur arbeitet, professionelle Stuntmen sind. Namentlich: Jonas Bloch Danielsen, der Eigentümer des wunderschönen Studio Bloch mit den offenen Steinwänden – Jonas, der macht das jedes Fußrascheln klingt wie, ähm, Engelsflügelrascheln. Und dass Teiturs Klavier klingt wie… Teiturs Klavier eben. Und dann Per I. Højgaard Petersen, der völlig wahnsinnige Drummer, der ansonsten, unter anderem, auch bei der Heilsarmee spielt. Und natürlich in einer Deathmetalband. Und Teiturs Freundin Ingilín Strøm, die in der Küche sitzt und mit der rechten Hand Comics zeichnet und mit der linken unfassbar gutes Essen kocht.
Und ja, am Abend dieses achten Tages geht auch uns, den Stuntmen, die Puste aus. Wir beginnen zu schwanken und zu faseln – und es gibt einen unschönen Moment, in dem wir kurz glauben, eventuell alles gelöscht zu haben, mit dem Ellenbogen. Aber trotzdem, als ich am nächsten Morgen zum Flughafen fahre, habe ich sechs tolle Aufnahmen unter dem Arm, und es sind sicher Sachen dabei, die genau so auf meiner Platte landen werden.
Für wen die englischen Songs sein sollen, habe ich immer noch keine Ahnung. Ein paar wird Teitur adoptieren, andere klingen aus Teiturs Mund so absurd wie aus meinem. Ich merke auf jeden Fall, wie bei mir knarzend und ächzend alle Schleusen aufgehen, die ich jahrelang künstlich verschlossen gehalten habe. Wie viele Ideen habe ich abgetrieben, weil ich dachte „JEMAND sollte mal einen Song schreiben, der…“ Dieser Jemand bin ab jetzt einfach immer ich, auch wenn der Jemand eigentlich ein Mann sein müsste, oder ein Teenager, oder eine popowackelnde Amerikanerin, oder ein Arschloch, oder Lana Del Rey. Oder James Taylor. Ich hau jetzt einfach alles raus. Und schätzungsweise fahre ich zu dem Zweck noch das eine oder andere Mal auf die Färöer Inseln.
Footnote: Dear Sea Shepherd supporters (and other sea life activists) who keep telling me that I should by no means be having any fun in the Faroes. While I respect your cause and your obvious devotion to it, I feel it reflects rather badly on you – and said cause – that you should use friendly and unrelated posts like mine to get your message across – and I´m sure that is not what any of you intended. I´ve spent the last days in the faroes writing songs, a thing that is holy to me and very dear to my heart. I´ve been doing so with a very good friend, while meeting some of the sweetest people I´ll come to know. If you respect (and/ or know?) me and my work at all, you surely know that while being pretty outspoken, I don´t like having a topic forced down my throat and I like to choose my own battles, on my own time. I´m also pretty sure that you can not make the world a better place if you cannot let the good be good, the kind be kind, and music be music. Generalized animosity won´t take you very far, and your obliviousness to the tone and purpose of my posts has, if anything, cost you my personal voice in this matter. So I would appreciate it if you took the discussion elsewhere.
Judith Holofernes