Notizen aus der Versenkung/ Kreuzberg (14)….. Ewjiege Ljiebi, ewjiege Verdammnjis
Es gibt Dinge, die findet man eklig, und es gibt Dinge, die liebt man, eklig zu finden. Ekelfaszination. An kleinen Kindern und Primaten gut in Zusammenhang mit Körpersekreten zu beobachten. Oder aber an meinem Mann, wenn er wieder mal beim Musikantenstadel hängen bleibt. Er kann nicht weg schalten. Wohlig „Igitt! Igitt!“ murmelnd sitzt er auf der Sofakante, mit großen Augen, die linke Hand sucht blind und fahrig nach dem Glas auf dem Couchtisch. Ich sitze daneben mit gekrümmten Zehen, versuche, jede Faser meines Seins so weit wie irgend möglich vom Geschehen auf dem Bildschirm zurück zu ziehen, ohne jedoch das Sofa zu verlassen. Ich wende den Blick ab, bedecke die Augen mit der Hand und frage mit klopfendem Herzen: „Sag mir was passiert!!! Was macht er??? Ist es schlimm??? Kann ich wieder hingucken???“ Und wie bei jedem echten Horrorfilm ist es so, dass das Schlimmste genau dann passiert, wenn man wieder hinguckt. In diesem Fall: Gott.
Karel Gott ist im Grunde nicht wirklich der furchteinflößendste aller Schlagersänger. Mit der gestrafften Babyhaut, den gezupften Augenbrauen und dem feinen, ondulierten Haar sieht er eigentlich eher sympathisch aus, wie ein alternder Travestiestar direkt nach dem Abziehen der Perücke. Und trotzdem, irgendwas an ihm lässt mich denken, er sei der Antichrist. Nach einigen Minuten durch die Fingern hindurch blinzelnder Analyse bemerke ich es: es ist das dezent im Hintergrund flackernde Höllenfeuer!!! Bzw. das wohl heimelig gedachte LED –Kaminfeuer im Stadl -Studio. Und wie ich so von Höllenfeuer zu Gott und wieder zurückgucke, fällt es mir wie Schuppen von den Augen: ich habe diesen Mann schon mal irgendwo gesehen, und ER WAR TATSÄCHLICH DER LEIBHAFTIGE!
Natürlich habe ich nicht wirklich Gott (Abb. 1) als Teufel gesehen, sondern einen astreinen Doppelgänger, nämlich den diabolischen Dr. Kelso aus der Fernsehserie „Scrubs“ (Abbildung 2.) Und der, so wird es in der Serie mehrfach angedeutet, ist eben ziemlich wahrscheinlich der Leibhaftige, in einigen schönen Folgen sogar illustriert durch, na was wohl, Höllenfeuer, meist in seinen Augen lodernd. Somit wäre das geklärt. Bitte förmlichst um Entschuldigung, Herr Gott.
Inzwischen hat sich Höllenmoderator Andi Borg (Abb.3) dazugesellt und die beiden singen in tschechisch –österreichischen Kauderwelsch von Weibern und deftigen Mahlzeiten und Blumen. Das Publikum tanzt eine selige Polonaise, eine erschreckend junge Frau hält das Ganze singend und mit zitteriger Hand auf ihrem iPhone fest. Hölle, Hölle, Hölle. Wer sind diese Leute?
Wo wir bei Ähnlichkeiten sind: Andi Borg habe ich ja Jahre lang mit Andrea Berg (Abb. 4) verwechselt. Was nicht weiter verwunderlich ist, da ja beide den Borg (Abb. 5) als Wurzel haben.
Aber nun, bei gezwungen gründlicher Betrachtung wird mir eine viel größere, ja frappierende Ähnlichkeit bewusst: Andi Borg ist … Mecki der Igel! Die gedrungene Statur, der fehlende Hals, die niedrige Stirn, die hohe Frisur, das feiste selbstzufriede Grinsen. Es ist verblüffend. ( Abb. 6)
Und wie bei jedem wirklich gelungenen Horrorfilm gibt es auch beim Stadl diesen einen Moment, in dem man sich gerade entspannt, weil eine Gefahr vorüber scheint – oder man an Igel denkt – und Zack!!! In diesem Moment kommt die Hand aus dem Grab geschossen und DER RIESIGE HAI WAR NUR DAS BABY UND HIER KOMMT DIE MUTTER!!!
Andi Borg setzt sich faselnd ans Klavier und fängt an, die schrecklichste, näselndste Ballade der Welt zu singen. Nach einer schmerzhaften Minute, in der man denkt: macht das irgendwas passiert, irgendwas, egal, alles würde das hier besser machen… da schießt eine Hand aus dem Boden, es ist Karel Gott, er fährt herauf, er greift nach dem Mikrofon und steigt in die Misere mit ein, sie seiern, sie singen, sie verbiegen einen unschuldigen Ostblock –Frauennamen zu einer Hirnzellen schmelzenden Unsäglichkeit. Und ja, mein Atem entweicht pfeifend, gut, das ist ja wirklich nicht so schlimm, geht eigentlich… und BAAAAMMM!!! GOTT WAR NUR DAS BABY!!!
Im Hintergrund teilt sich das Höllenfeuer, und heraus schreitet Semino Rossi (Abb 7). Der gealterte Semino Rossi sieht nicht nur aus wie Meckis kleiner Bruder, sondern auch wie John Turturro (Abb. 8) – in der Sat 1-Verfilmung des Lebens von Eros Ramazotti (Abb. 9). Oder wie der zu kurz gekommene dritte Bruder der Klitschkos (Abb.10). Vielleicht auch wie „BAAAMMMM!!! … DIE MUTTER!!!“ von Semino Rossi (ohne Abb.).
In einer nie dagewesenen Verschmelzung der Unkulturen schmettern die drei sich in schwindelnde Höhen, dabei verbinden sich ihre Trademark –Akzente zu einem einzigen, Frauenherzen pulverisierenden Meta –Akzent. „Ewwjiegi Ljieeeebi! Ewwjiegi Ljieeeeeeeäbi!!!“ heulen sie, und die anwesenden Sekretärinnen sinken in ewjieger Ljiebi zu Boden, inkontinent Blumen von sich werfend. Die Zuschauer, die als Paar gekommen sind, fallen unkontrolliert über einander her, während die anderen mit ihren iPhones filmen.
Es ist vorbei. Pola stimmt fröhlich in den Abspann mit ein: „Stadelzeit! Fröhlichkeit!…“ Ad Libitum improvisiert er einige textliche Abwandlungen mit kulturellen und historischen Verweisen, die ich hier so nicht wiedergeben kann. Meine Augen schmerzen. Wenn ich sie schließe, tanzt hinter meinen Lidern das Feuer ewjieger Verdammnjis.