Noch zwei neue Texte aus dem Merian Heft Berlin: „Notizen“ 12 und 13. Hier in voller Länge.
Notizen aus der Versenkung/ Kreuzberg (12)… Jute –Taschen raus
„Looooook! It´s so ooooooold!“ schreit ein aufgeregter junger Newyorker, und zeigt, vor Begeisterung von besandaltem Fuß zu besandaltem Fuß hüpfend auf meinen Balkon. Ich hoffe, er meint nicht mich. Seine turbantragende, goldbeohringte Begleitung ruft entzückt „Ah, mais ouui, que cést beau!!“ Hmm, vielleicht meinen sie doch mich? Nee, klar, beide meinen: mein Haus. Weil es älter als dreißig Jahre alt ist, wahrscheinlich. Aaaah, Touristen. Ich mag sie. In Kreuzberg ist es ja sehr schick geworden, „Touristen raus“ und ähnliche post–post–postmodernen Danebenheiten auf Jute –Taschen herumzuparadieren. Und jeder, der so was trägt, trägt es im tiefen Glauben, dass er sich vom hergelaufenen niederbayrisch-dörflichen Überfremdungsphobiker durch schiere Coolness und Ironievermögen unterscheide. Was natürlich nicht stimmt, Angst vor Ausländern ist das, und da passen keine Anführungszeichen drum. Und ich wünschte, um auch mal was Reaktionäres zu sagen, die Kreuzberger blieben, verdammt noch mal, bei ihren alten Parolen. Die sind nämlich viel zutreffender. „Spekulanten raus“ hieß das in den Siebzigern, und so sollte es auch heute heißen. Die gucken auch nicht so niedlich, die Spekulanten, und sie geben mir auch nicht das Gefühl, in meiner eigenen Stadt im Urlaub zu sein.
Notizen aus der Versenkung/ Kreuzberg (13)… Admiralbrücke
So etwa jeden zweiten Tag müssen mein Mann und ich die sagenumwobene Admiralbrücke überqueren – jene Brücke, die so lauschig und gleichzeitig total happening ist, dass sie es bis in den Lonely Planet Germany geschafft hat, mit der Folge dass sie jetzt nicht mehr ganz so happening ist, sondern eher der Warteschlange vor einem Justin Bieber –Konzert gleicht. Trotzdem, ich mag sie, die Brücke (siehe oben und vergleiche „Ich mag Touristen“). Es wird schöne Straßenmusik da gespielt, der Kioskbetreiber nebenan hat sich soeben eine Yacht gekauft, und auch das freut mich. Und sogar das Bingobongo bis spät in die Nacht stört mich nicht. Schwierig wird es nur, wenn man versucht, den angesagten Hang Out seiner ursprünglichen Bestimmung zuzuführen und die Brücke in einem Fahrzeug zu überqueren, zum Beispiel dann, wenn man seine Kinder von Freunden nach Hause bringen möchte. Schon oft haben wir überlegt, das Auto zu parken und die schlafenden Kinder den geschätzten halben Kilometer bis zu uns nach Hause zu tragen. Aber irgendwie fassen wir uns dann doch immer ein Herz und… fahren -begleitet von spöttischen bis ungläubigen Blicken der wie über einen Pavianfelsen verteilten Jung –Hipperia und Haute –Touristika, die auf den Bordsteinen sitzen und ihre engbehosten Beinchen weit auf die, na ja, tut mir echt Leid, aber: Straße zu strecken. Und gucken entschuldigend und hoffen, dass die Knirschgeräusche unter den Reifen nur von abgestellten Bierflaschen herrühren. Nie habe ich mich so spießig gefühlt wie beim Überqueren dieser Brücke.